§ 7. Die sog. Grundrechte. 39
beruhigen zu können, so darf er die Beschwerde den Ständen mit der schriftlichen Bitte um
Verwendung vortragen.
Dieses Recht der Beschwerdeführung, wie es aus dem Wortlaute der V. U. sich
ergibt ¹), hat nun aber durch die neuere Gesetzgebung, insbesondere das Gesetz über die
Verwaltungsrechtspflege vom 16. Dezbr. 1876 wesentliche Modifikationen und Beschrän-
kungen erfahren. Es ist hiernach zu unterscheiden:
a) behauptet der Beschwerdeführer, daß er durch die auf Gründe des öffentlichen
Rechts gestützte Entscheidung oder Verfügung des Ministeriums bezw. derjenigen
Verwaltungsbehörde, welche nach dem bestehenden Instanzenzug in letzter Instanz
verfügt hat, in einem ihm zustehenden (subjektiven) Rechte verletzt oder mit einer
ihm nicht obliegenden Verbindlichkeit belastet worden sei, so findet hiergegen die
sog. Rechtsbeschwerde nach Maßgabe der Art. 13, 16 und 59 des Ges. v.
16. Dez. 1876 an den Verwaltungsgerichtshof statt ²). An letzteren geht auch
nach Art. 73 dieses Gesetzes die Beschwerde gegen die nach Art. 2 Abs. 1, Art. 3
des Ges. v. 12. Aug. 1879 wegen Ungehorsams oder Ungebühr von einem Ver-
waltungskollegium erkannten Strafen (Art. 5 ebend.), sowie die Beschwerde nach
§ 79 des Beamtenges. v. 28. Juni 1876 bei Strafverfügungen des Vorstands
des Geh. Raths, der Departementschefs, der Verwaltungskollegien oder ihrer Vor-
stände, in beiden Fällen jedoch nur, wenn auf mehr als 50 Mark oder auf Haft
erkannt worden.
b) In allen anderen Fällen, in welchen die Voraussetzungen der Rechtsbeschwerde (a)
nicht vorliegen, mag sich im Uebrigen die Beschwerde auf Rechtsgründe oder auf
angebliche Verletzung von Interessen bei Anwendung des administrativen Ermessens
stützen oder mag es sich blos um die Verletzung formeller Vorschriften über das
Verfahren handeln, findet auf Grund der oben angeführten §§ 36— 37 der V. U.
die jetzt sog. Verwaltungsbeschwerde statt. Die letzte Verwaltungsinstanz
bildet hierbei das Ministerium, zu dessen Geschäftskreis der Gegenstand der Be-
schwerde gehört. —
Auf das Beschwerderecht im gerichtlichen Verfahren finden nur die Prozeß-
gesetze, nicht der § 36 der V. U. Anwendung; dagegen ist die Beschwerde wegen Justiz-
verzögerung bis an das Justizministerium, in Verwaltungsjustizsachen an das Staats-
ministerium zulässig ³). Aber auch in Verwaltungssachen ist der Beschwerdezug neuerdings
vielfach theils durch Einführung von Nothfristen, theils durch unbedingte oder bedingte
Ausschließung der weiteren Beschwerde, theils dadurch beschränkt worden, daß eine Mittel-
behörde als letzte Verwaltungsinstanz bezeichnet wurde ⁴).
c) Die Beschwerde an die Ständeversammlung setzt voraus, daß die Stufen-
folge bis zur „obersten Staatsbehörde“ d. h. bis zu der nach Beschaffenheit des
1) Vgl. über das frühere Recht Mohl, I S. 414 ff.
2) Spezielle Anwendungen dieses Grundsatzes finden sich in einer Reihe einzelner Gesetze,
vgl. z. B. Landesfeuerlösch O. v. 7. Juni 1885, Art. 26, Feldbereinigungs Ges. v. 30. März 1886,
Art. 68, und Zwangsenteignungs Ges. v. 20. Dez. 1888, Art. 25; eine spezielle Ausnahme enthält
dagegen die Feuerlösch O. Art. 32.
3) S. bezüglich der bürgerl. Gerichte § 23 des Ausf.G. z. G. V. G. und Gaupp, Kommentar
z. C. Pr. O. Anhang S. 33f. und bezüglich der Verwaltungs- gerichte das Ges. vom 16. Dez. 1876
Art. 4.
4) Vgl. z. B. das Berg.-Ges. v. 7. Okt. 1874, Art. 5, 8, 50, 51, 126, 133; § 20 der
Gew.O. verb. mit § 3 der K.V.O. v. 19. Juni 1873, Art. 14 u. Art. 79 Abs. 4 des Ges. vom 16. Dez.
1876. — Ueber das Beschwerderecht in Polizeistrafsachen s. das Pol. Str. Ges. v. 12. Aug. 1879
Art. 5, 20, 23,³ über die Beschwerde in Forstpolizeisachen das Forstpol.G. v. 8. Sept. 1879,
Art. 15, 42; gegen Strafbescheide der Zoll- und Steuerbehörden: das Ges. v. 25. Aug. 1879, Art. 23
gegen Steuereinschätzungen: das Ges. v. 28. April 1873, Art. 16 ꝛc.