§9. B. Die Standesherren. 47
Durch die Einführung der sog. Grundrechte vom 27. Dezember 1848 (s. die Einleitung) ver-
loren zunächst der Art. 14 der Bundesakte und die Declarationen ihre rechtliche Geltung. Als dann
die Grundrechte durch den Bundesbeschluß vom 23. August/5. Oktober 1851 und durch das Landes-
gesetz vom 2. April 1852 wieder aufgehoben wurden, blieben doch alle diejenigen Vorrechte der
Standesherren beseitigt, welche inzwischen durch spezielle Landesgesetze abgeschafft worden waren. Die
deßhalb, namentlich gegen die Ablösungsgesetzgebung der Jahre 1848 und 1849 von den Standesherren
erhobene Beschwerde bei der Bundesversammlung in Frankfurt hatte zwar ein Einschreiten zu Gunsten
dieser Reklamationen zur Folge (1855). Zu der verlangten Aenderung der Gesetzgebung kam es
jedoch nicht, da seit dem Frieden von Villafranca die Macht Oesterreichs gebrochen und damit der
Druck der Bundesversammlung auf Württemberg beseitigt war, so daß die Abgeordnetenkammer am
2. Dezember 1861 die auf Grund des bundestäglichen Ansinnens gemachten Vorlagen der Regierung
ohne weitlere Anfechtung ablehnen konnte ¹).
Der Art. 14 der Bundesakte und die Declarationen sind hiernach für den Rechtszustand der
Standesherren in Württemberg nur noch insoweit maßgebend, als die darin enthaltenen Normen
nicht durch die Landesgesetzgebung seit 1848 und durch die Reichsgesetzgebung eine Aufhebung bezw.
Abänderung erfahren haben. Der Art. 14 bindet dagegen fernerhin weder die Reichs- noch die Landes-
gesetzgebung bei der Regelung der Rechtsverhältnisse der Standesherren ²).
II. Die Vorrechte der Standesherren ³). 1. Standesherrliche Familien sind nach
Art. 14 der Bundesakte diejenigen Familien, deren Häupter bis zum Jahre 1806 im Besitz der
Landeshoheit und eines mit Sitz und Stimme auf dem Reichstag verbundenen Landes
waren, ihre Landeshoheit aber seit dem Jahre 1806 verloren haben ⁴). Die Angehörigen
dieser Familien, nicht blos die Häupter derselben, gehören zum hohen Adel. Die mit
diesem verbundenen persönlichen Rechte sind nicht an den Besitz einer Herrschaft geknüpft,
auf welcher bis 1806 eine Reichstagsstimme geruht hatte; auch sind dieselben nicht an
die Grenzen eines deutschen Bundesstaates gebunden. Diese mit dem hohen Adel in Deutsch-
land verbundenen Rechte sind:
a) Das Recht der Ebenbürtigkeit in dem bisher damit verbundenen Sinn;
Bundesakte Art. 14; vgl. auch unten § 11.
Fürstenberg: Decl. v. 23. Jan. 1839. B. Gräfliche Häuser betreffend: 1. mit Quadt-
Isny: Derl. v. 8. Mai 1827 und 19. Nov. 1834; 2. mit Königsegg- Aulendorfs: Decl. v.
6. Aug. 1828 und 3. Juli 1829; 3. mit Pückler-Limburg: Decl. v. 17. Aug. 1832 (dazu
dann noch 4. mit Neipperg: Decl. v. 19. Mai 1827; 5. mit Rechberg: Decl. v. 3. Mai 1832).
Mit den Fürstlichen Häusern: Oettingen-Wallerstein, Löwenstein-Wertheim,
Bentheim-Bentheim und Bentheim-Steinfurth, sowie Windischgrätz, ferner mit
den Gräflichen Häusern: von Bentink und Schäsberg-Thannheim wurden keine Decla-
rationen abgeschlossen. Ueber die Frage, ob diese Declarationen giltig im Wege der Verordnung
erlassen werden konnten, s. Mohl, I S. 466 ff., namentlich aber Wächter a. a. O. S. 925 ff.; s.
auch unten S. 50 N. 4.
1) Vgl. über diese Vorgänge auch die Verh. der K. d. A. 1856/61, und Reyscher, Er-
innerungen S. 215 f.
2) Vgl. auch Laband, I S. 8, Thudichum, Verf.R. des Nordd. Bundes S. 7, G. Meyer,
Deutsch. St. R. S. 598 und v. Rönne, R. St. R. S. 54 f. E.R.G. VII 402.
3) Die Zahl der würt temberg. Standesherrschaften hat sich von 37 allmählig auf 20,
nämlich 15 fürstliche und 5 gräfliche, vermindert; (s. das Verzeichniß im württemberg. Staats-
Hdbch. von 1892 S. 564 ff.). Dieselben sind aus S. 46 N. 5 zu entnehmen, dazu kommen dann
noch 6 gräfliche Häuser, welche blos für ihre Person, aber nicht für ihre Besitzungen in
Württemberg zum standesherrlichen Adel gehören (nämlich v. Neipperg, v. Rechberg,
Fugger v. Kirchberg-Weißenhorn, v. Salm-Reifferscheid-Dyk, v. Sta-
dion - Thannhausen, Törring-Jettenbach, welche zwar Rittergüter, aber keine Standes-
herrschaften in Württemberg besitzen.)
4) Auf die namentlich aus Anlaß des Bentink'schen Erbfolgestreits vielerörterte Frage, ob
nach dem deutschen Privat-Fürstenrecht auch die Personalisten zum hohen Adel gehören, kann hier
nicht näher eingegangen werden. Von den in Württemberg zum standesherrlichen Adel gerechneten
Familien war Neipperg blos Personalist: bei Rechberg war auch dieses nicht der Fall.
Dieses Haus konnte vielmehr höchstens als kreisständischer Personalist gelten; vgl. Wächter a. a.
O. S. 810, 811. Sicherer das Haus der Grafen Törring, München 1886, S. 47 ff., wonach
die Rechberg nur der Ritterschaft angehörten.