§ 11. Das Thronfolgerecht. 55
die Krone kraft rechtlicher Nothwendigkeit in dem Augenblicke der Erledigung des Thrones.
Einer besonderen Erklärung, die Regierung antreten zu wollen, bedarf es nicht, da die
Succession nach der deutschrechtlichen Erbfolge ipso jure stattfindet. In Beziehung auf
die Ausübung der Regierungsrechte durch den neuen Regenten bestimmt jedoch die V. U.:
1. Der Huldigungseid wird dem Thronfolger erst dann abgeleistet, wenn er in einer
den Ständen des Königreichs auszustellenden feierlichen Urkunde die unverbrüchliche
Festhaltung der Landesverfassung bei seinem Königl. Worte zugesichert hat; § 10 der
V. U. Aus dieser, historisch an die altwürttemberg. Verfassung anknüpfenden Bestimmung
darf jedoch nicht gefolgert werden, daß die Succession selbst durch die Ausstellung der
Urkunde bedingt, oder daß auch nur die Leistung des verfassungsmäßigen Gehorsams
seitens der Unterthanen bezw. die Ausübung der Regierungsrechte durch den Regenten bis
zu dem angeführten Zeitpunkte suspendirt werde. Denn wenn auch nach dem Tübinger
Vertrage von 1514 und der auf demselben beruhenden altwürttemberg. Verfassung das
württemberg. Land mit dem Herzog in einem Vertragsverhältniß stand, nach welchem das
Land den Herzog vor Ertheilung der Zusicherung „nicht einzulassen oder ihm Gehorsam
zu leisten“ schuldig war, so ist doch die Grundlage dieses auf der Reichssouveränetät be-
ruhenden Vertragsverhältnisses seit der Erwerbung der Souveränetät durch Württemberg
(1806) hinweggefallen, und die Huldigung bildet deßhalb jetzt nicht mehr eine Bedingung
der Pflicht zum Gehorsam gegenüber der Staatsgewalt, wie denn auch die W.V. U.
eine interimistische Stellvertretung bis zur Ausstellung der Urkunde nicht kennt ¹). Jene
feierliche Zusicherung bildet hiernach nur eine verfassungsmäßige Pflicht des Königs. Die
Uebergabe der Urkunde an die Stände, oder wenn dieselben nicht versammelt sind, an den
ständischen Ausschuß, erfolgt sofort nach dem Regierungsantritt und vor Erlassung des
diesen kundgebenden Manifestes ²).
2. Nach § 5 der V. U. „bekennt sich der König zu einer der christlichen Kirchen“.
Angehörigkeit zu einer der drei christlichen Glaubensbekenntnisse im Sinne der älteren
Reichsgesetze und der V.U. von 1819 (§§ 26 und 70) wird nicht verlangt, vielmehr
kann der König sich auch zu einer Sekte bekennen ³). Auch diese Vorschrift bildet jedoch
keine Bedingung des Erbfolgerechts, sondern nur eine verfassungsmäßige Pflicht des Königs;
die entgegengesetzte Annahme ⁴) kann auf den allein maßgebenden Wortlaut der V. U. (s. o.)
nicht gestützt werden ⁵).
IV. Die Erledigung des Thrones kann nur eintreten durch den Tod des Königs
oder in Folge eines Verzichtes. In der V. U. wird die Entsagung auf den Thron nicht
ausdrücklich erwähnt. Es gelten daher in dieser Beziehung die Grundsätze des allgemeinen
Staatsrechts ⁶). Die Niederlegung der Krone kann hiernach nur durch einen ausdrücklichen
Akt geschehen, welcher zu seiner Giltigkeit der Kontrasignatur mindestens eines Ministers
bedarf. Ein Verzicht zu Gunsten eines anderen als des zur Krone nächstberufenen Prinzen
1) Vgl. auch Reyscher, publ.Verf. S. 278; Fricker u. Geßler, Verf.Gesch. S. 84, 136;
Zöpfl, St. R. 1 745; Zachariä, I§ 56 N. 8; Laband, I S. 204; Triepel, das Interregnum
(1892) S. 10 und die Verh. der württemberg. Kammer der Abg. v. 1864. B.B. I S. 1855 ff.,
Prot. B. III S. 1823 ff., 2081. A. A. Mohl, 1 S. 156, 171 ff.
2) Vgl. das Manifest vom 26. Juni 1864, Reg. Bl. S. 87 und dazu den Bericht des ständ.
Ausschusses vom 11. Juli 1864 in den Verh. d. K. d. A. a. a. O.; ferner das Manifest v. 6. Okt.
1891. R. Bl. S. 265.
3) Mohl, 1 S. 178 ff.
4) Mohl a. a. O.
5) Aus der „Stellung“ des § 5 der V. U. — zwischen § 4 (Unverletzlichkeit der Person
des Königs) und § 6 (Sitz der Regierung im Lande) — (Sarwey, I S. 50) ist nichts zu folgern;
wäre ferner der König ausgeschlossen, so wäre auch keine Reichsverwesung denkbar;
6) Val. Bluntschli, Allgem. Staatsrecht S. 184 und Gareis in dsm. Handb. Bd. I I,
S. 45, G. Meyer, § 91, H. Schulze, Pr. St. R. §. 74.