§ 19. Die Rechte des Königs als Staatsoberhaupt. 75
hat, der Begnadigungsakt erstreckt dann seine Wirkungen auf das ganze Reichs-
gebiet ¹). Anders bei der Abolition. Sind nämlich wegen einer Handlung
Gerichte verschiedener Staaten in erster Instanz zuständig, und ist die Unter-
suchung noch von keinem derselben eröffnet, so schützt die Niederschlagung den
Thäter nur vor dem Strafverfahren der württ. Gerichte. Ist dagegen die
Untersuchung bereits in einem anderen Staat eröffnet (Str. Pr. O. § 12), so ist
die Niederschlagung durch den König dem auswärtigen Gericht gegenüber wirkungs-
los. Erfolgt dagegen die Abolition, nachdem ein württemberg. Gericht durch
Prävention zuständig geworden, so wirkt sie für das ganze Reichsgebiet ²).
Bei Ausübung des Begnadigungsrechts nach beiden Richtungen soll jedoch der König
darauf Rücksicht nehmen, daß dem Ansehen und der Wirksamkeit der Strafgesetze dadurch nicht
zu nahe getreten werde (V. U. § 97). Außerdem darf der König nach § 205 der V. U. die Unter-
suchung auf Grund einer Anklage vor dem Staatsgerichtshofe niemals hemmen und ist
auch in der Handhabung des Begnadigungsrechts i. e. S. gegenüber dem Urtheile dieses Gerichts-
hofes beschränkt (s. unten).
Das Begnadigungsrecht kann sowohl auf Grund einer Bitte um Begnadigung als ohne
eine solche ausgeübt werden. In schweren Straffällen, d. h. wenn auf Todesstrafe oder mindestens
zehnjährige, nicht bloß durch das Zusammentreffen begründete Zuchthausstrafe erkannt worden,
ist das Urtheil von Amtswegen zum Behufe einer etwaigen Begnadigung mit einer Aeußerung
des erkennenden Gerichts dem Justizministerium vorzulegen ³). Auch in andern Fällen kann das
Gericht von Amtswegen das Urtheil zur Begnadigung einsenden, wenn nach seinem Dafürhalten
Gründe für eine solche vorliegen. Bei Ausübung des Begnadigungsrechts bedarf es nach § 51
der V. U. der Gegenzeichnung des Ministers.
Strafaufschubsgesuche können im Gnadenwege kraft besonderen, stets widerruf-
lichen Auftrags des Staatsoberhauptes bis zur Dauer von 10 Tagen von den Amtsrichtern bezw.
den Vorständen der Strafanstalten, bis zur Dauer von 6 Wochen von der Staatsanwaltschaft des
Landgerichts bei gerichtlich erkannten Strafen, von den Kollegialvorständen bezw. dem ersten Be-
amten der Staatsanwaltschaft bei den in ihrem Geschäftskreise erkannten Ordnungs- und Dis-
ziplinarstrafen erledigt werden.
Die näheren Bestimmungen über das Verfahren in Begnadigungssachen sind in Art. 8
und 9 des württ. Ausf.G. z. St. Pr. O., sowie in der Königl. V.O. v. 25. Sept. 1879 betr. das
bei Begnadigungsgesuchen im Geschäftskreise des Justizdepart. zu beobachtende Verfahren ent-
alten ⁴).
IV. Der Oberbefehl über das württembergische Kontingent in dem durch die Reichs-
verfassung und die Militärkonvention vom 21./25. November 1870 bestimmten Sinne
(sog. Kontingentsherrlichkeit) ⁵). Das Nähere hierüber s. in § 116 I.
V. Die Vertretung des Staates als Mitglied des Deutschen Reichs. Als Vertreter
des Staates Württemberg ist der König in Gemeinschaft mit den übrigen deutschen Landes-
herren und den Senaten der drei freien Städte Träger der Souveränetät des Reichs ⁶).
1) Ueber die bestrittene Frage, wem das Begnadigungsrecht zustehe, wenn eine Gesammt-
strafe nach § 79 des Str.G.B., § 492 f. der St. Pr. O. an der Stelle der von dem Gericht eines
anderen Staats erkannten Strafe festgesetzt worden, s. Elsaß S. 124, Seuffert, a. a. O.
S. 152 § 10, H. Meyer, Str. R. S. 392.
2) Seuffert S. 151 § 9, Laband, II S. 490.
3) Nach § 97 der V. U. mußten solche Urtheile schon vor der Verkündigung dem Könige vor-
gelegt werden; diese Bestimmung ist aber schon durch die Ges. v. 22. Juni 1843 Art. 432, vom
14. Aug. 1849 Art. 190, v. 17. Juni 1853 Art. 5 und die St. Pr. O. v. 1868 Art. 345 beseitigt
worden, s. jetzt Ausf.G. z. St. Pr. O. v. 4. März 1879 Art. 8 und § 4 der Königl. V.O. v.
25. Sept. 1879.
4) Vgl. auch J.M. V. v. 7. Juni 1880, Ger. Bl. XVII 358, J.M.E. v. 10. Mai 1890
Amtsbl. S. 37. Ueber Begnadigungsgesuche in Verw.-Strafsachen f. die Königl. V.O. v. 3. April
1835. Dieselbe findet jedoch nur noch Anwendung auf administrative Strafverfügungen, soweit nicht
auf Anrufen des Beschuldigten eine gerichtliche Entscheidung erfolgt ist. Bezüglich der Begnadigung
bei Zoll- und Steuerkontraventionen insbesondere vgl. Laband, II 936 V. Dagegen gehört nicht
hierher der Erlaß von Steuern, die Niederschlagung von Gebühren und Ersatzansprüchen: s. § 56 II
und Laband, R. St. R. II 1030 f., in diesem Hdb. S. 270 N. 1.
5) Ueber den früheren Rechtszustand s. Mohl, I S. 229fff.
6) S. Laband in diesem Handbuch Bd. II I S. 42 und R. St. R. I S. 87 ff.