Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.2. Das Staatsrecht des Königreichs Württemberg. (2)

78 Vierter Abschnitt: Die Organisation des Staates. II. Die Ständeversammlung. § 20. 
Die Stände, welche so das Land gegenüber dem Herzog repräsentirten, wurden gebildet durch 
die 14 Prälaten als Vertreter der ehemaligen — nun mit dem evangelischen Kirchengute vereinigten 
— Mannsklöster und aus den (69) Abgeordneten der zu den Amtskorporationsverbänden vereinigten 
„Städte und Aemter“, welche von den Amtsversammlungen aus der Mitte der Magistrate gewählt 
wurden. Der Adel, welcher seit dem 16. Jahrhundert reichsunmittelbar geworden war, hatte keine 
Vertretung in der Landschaft ¹). 
2. Die Verf.-Urkunde von 1819, welche nach der gewaltsamen Aufhebung der 
altwürtt. ständischen Organisation der Periode der absoluten Monarchie in Württemberg ein 
Ende machte, hat — in dem IX. Kapitel, welches sich mit den Ständen befaßt — die ständische 
Repräsentation aus einem wesentlich verschiedenen Princip geregelt. Sie hat die mit der Auflösung 
des Deutschen Reiches entstandene Souveränetät des Staates Württemberg zum Ausgangspunkte ge- 
nommen, folgeweise mit dem ständischen Prinzip der alten Verfassung gebrochen und im Anschlusse 
an die Doktrin der sog. konstitutionellen Monarchie den Grundsatz festgestellt, daß die gesammte 
Staatsgewalt dem Regenten zusteht, die Rechte der Stände dagegen nur in einer Mitwirkung und 
Kontrolle der Thätigkeit der Regierung — also in einer Schranke der letzteren bestehen, wenn auch 
daneben die ständische Staatsschuldenverwaltung als eine Reminiscenz an die frühere Theilung der 
Hoheitsrechte in Finanzsachen beibehalten worden ist. 
Außerdem weicht die Verfassung von 1819 von dem früheren Rechtszustande auch insofern 
wesentlich ab, als die Stände jetzt in zwei getrennte Körper, die Erste und die Zweite Kammer, 
sich theilen und dabei in der Zusammensetzung dieser beiden Organe dem Adel — welcher dem 
württ. Verfassungsrecht vor 1806 gänzlich fremd war — noch jetzt eine Stellung eingeräumt ist, 
wie sie z. Z. in keinem der größeren deutschen Staaten zu finden ist. Während in der Ersten Kammer 
den Königl. Prinzen und den Standesherren ¾ aller Stimmen verfassungsmäßig garantirt, der 
Staatsregierung also im Falle des Frondirens dieser Elemente die Möglichkeit, ihren Widerstand 
durch Ernennung lebenslänglicher Mitglieder zu überwinden, entzogen ist, wurden auch in der 
Zweiten Kammer den 70 gewählten Abgeordneten der Städte und Oberamtsbezirke noch 23 sog. 
Privilegirte zur Seite gesetzt, bestehend aus Vertretern der Ritterschaft, der beiden Kirchen und der 
Landesuniversität ²). Die Abgeordneten der Städte und Oberamtsbezirke sollten mittelst offener, 
mündlicher Stimmabgabe durch ein Wahlkollegium gewählt werden, welches aus den zur Grund-, 
Gebäude- und Gewerbesteuer eingeschätzten Gemeindebürgern mit Ausschluß aller übrigen Staats- 
bürger und zwar zu ⅔ aus den Höchstbesteuerten, zu ⅓  aus den von den Uebrigen gewählten 
Wahlmännern bestand. 
3. Dieser Zustand erhielt sich unverändert, bis durch ein Gesetz vom 1. Juli 1849 in Aus- 
führung der in den sogen. Grundrechten vom 27. Dez. 1848 Art. 2 und 8 enthaltenen Vorschriften, 
an die Stelle der seitherigen Ständeversammlung eine von sämmtlichen volljährigen, eine direkte 
Staatssteuer zahlenden Staatsbürgern gewählte, aus 64 Abgeordneten der Oberamtsbezirke bestehende 
Versammlung zunächst (Art. 1 und 2 des Gesetzes) zur Revifion der Verfassung eingesetzt wurde ³). 
Nachdem diese sogen. Landesversammlung am 22. Dezember 1849, eine neuberufene zweite am 
3. Juli 1850 aufgelöst worden, hob eine Königl. Verordnung vom 6. November 1850 auch die 
dritte Landesversammlung auf und setzte auf Grund des § 89 der V. U. ⁴) wieder das alte Ver- 
fassungsrecht (IX. Kap. der V. U.) in Wirksamkeit, nach welchem dann durch Königl. V.O. vom 
19. März 1851 eine neue Wahl der Abgeordnetenkammer angeordnet wurde, worauf am 6. Mai 
1851 die Eröffnung des Landtages in der aus der Verfassungsurkunde von 1819 sich ergebenden 
Zusammensetzung stattfand. 
Seit dieser Zeit ist der Streit über die fortdauernde Giltigkeit des Gesetzes vom 1. Juli 
1849 nicht zur Ruhe gekommen ⁵). Wer letztere behauptet, muß folgerichtig auch die Giltigkeit aller 
 
1) Ueber den ständischen Ausschuß s. u. § 34 und im Uebrigen Mohl, 1 S. 9 ff., Fricker 
und Geßler, a. a. O. S. 125 f., 130 f. 
2) Schon ein Drittel der Stimmen der gewählten Abgeordneten in Verbindung mit den 
Privilegirten genügt zu einer Majorität der Zweiten Kammer. 
3) Ueber die Aufgabe dieser Versammlung und ihre Rechte s. I. Aufl. S. 112, N. 2. 
4) Welcher dem Könige gestattet, „in dringenden Fällen zur Sicherheit des Staates das 
Nöthige vorzukehren" (s. u. § 55). Als Grund dieser Maßregel wurde in der Königl. Ansprache 
vom 7. Nov. 1850 die Thatsache bezeichnet, daß die Versammlung das Ansinnen einer Verwilligung 
von 300 000 Gulden zu einer militärischen Aufstellung gegen Kurhessen und Preußen fast einstimmig 
abgelehnt hatte; s. auch Reyscher: Drei verfassungsberathende Landesvers. Tübingen 1851 u. Erinne- 
rungen S. 178. 
5) S. über diese Frage Fricker u. Geßler, Gesch. der Verf. S. 265 ff., vgl. m. S. 260 f.
	        
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