§ 21. Die staatsrechtlichen Befugnisse der Ständeversammlung. 85
werden ¹). Zu einer weiteren Verlängerung dieser Frist (z. B. wenn die Verabschiedung
des neuen Etats sich verzögert) bedarf es eines mit den Ständen zu verabschiedenden be-
sonderen Gesetzes, durch welches dann selbstverständlich die Steuern (provisorisch und ohne
Etat) auch in einem höheren als dem durch das abgelaufene Finanzgesetz normirten Be-
trage verwilligt werden können.
3. Der Etat und seine rechtliche Natur ²). Die Feststellung des Staatshaushalts-
planes (s. hierüber § 65) ist zwar an sich ein Verwaltungsakt, die Mitwirkung der Stände
bei derselben eine Theilnahme an der Verwaltung und eine Kontrolle derselben. Dennoch
ist in Württemberg das an den Etat sich anschließende Finanzgesetz nicht blos Gesetz im
formellen, sondern auch im materiellen Sinne, weil durch dasselbe nicht nur den Behörden
die Ermächtigung ertheilt wird, die Ausgaben zu machen und die zur Deckung derselben
erforderlichen Einnahmen zu erheben, sondern auch den Einzelnen Steuern auferlegt, also
Leistungsverbindlichkeiten derselben gegenüber dem Staate begründet werden. Denn es ist
ein wesentlicher Grundsatz des württemberg. Rechts, daß alle Steuern, auch diejenigen,
über deren Erhebungsweise besondere Gesetze bestehen, zu ihrem wirklichen Einzuge auf
die Dauer der Etatsperiode der Verwilligung durch das Finanzgesetz bedürfen ³). Sollte
übrigens auch einmal ein Finanzgesetz — was nicht wohl vorkommen wird — keine
Steuerverwilligung enthalten, so gelten doch für alle Gesetze über Auferlegung von Steuern,
Aufnahme von Anlehen, Feststellung des Staatshaushaltes oder über außerordentliche, im
Etat nicht vorgesehene Ausgaben folgende besondere Grundsätze:
a) Die Entwürfe solcher Gesetze können nur vom Könige, also nicht von ständischer
Initiative ausgehen, auch können Ausgabeposten nicht über den Betrag der von
der Regierung vorgeschlagenen Summe erhöht werden ⁴). (Die Entwürfe werden
vom Finanzminister den Ständen vorgelegt.)
b) Dieselben müssen immer zuerst in der Kammer der Abgeordneten ein-
gebracht, berathen und durch Beschlußfassung erledigt werden, ehe sie an die
Kammer der Standesherren gelangen können ⁵). Selbstverständlich gilt dasselbe
auch von der Vorprüfung der oben erörterten Voraussetzungen jeder Steuer-
verwilligung. Den von der Kammer der Abgeordneten gefaßten Beschluß kann die
Kammer der Standesherren nur im Ganzen annehmen oder verwerfen. Aende-
rungen zu machen oder auch nur vorzuschlagen, ist sie nicht berechtigt. Dagegen
hat (V. U. § 181) vor der definitiven Beschlußfassung der Zweiten Kammer eine
vertrauliche Besprechung beider Kammern (ohne Protokollführung und Beschluß-
fassung) stattzufinden, auf welche jedoch regelmäßig verzichtet wird.
Sollte die Kammer der Standesherren den von der Zweiten Kammer beschlos-
senen Etat (nur dieser, nicht die Regierungsvorlage unterliegt ihrer Beschluß-
fassung), nachdem ihr derselbe unter Angabe des Stimmenverhältnisses mitgetheilt
worden, im Ganzen verwerfen, so werden die bejahenden und die verneinenden
Stimmen, welche in beiden Kammern abgegeben worden sind, zusammengezählt
und wird nach der sich auf diese Weise ergebenden Mehrheit sämmtlicher Stimmen
1) V. U. § 114.
2) S. hierüber auch Laband R. St. R. II 985 und die in der Note angef. Litteratur und
ebend. im Anhang S. 1037f.
3) S. V. U. §§ 109 u. 114. Ueber den Versuch von Sarwey, II S. 507 und a. a. OO.
diesen auf Grund des § 109 der V. U. seit 1819 in Geltung stehenden, in jedem Finanzgesetz zur
Anerkennung gebrachten Grundsatz anzufechten, f. u. § 61; vgl. auch Seydel, Bayer. St. R.
IV 291 ff. u. im Handb. III 1 S. 210 f.
4) V.G. v. 23. Juni 1874, Art. 6 (V. U. § 172).
5) V. U. § 178.