Full text: Bürgerkunde.

Die Strafgesetze 79 
Die Strafe bildet die durch die Gerechtigkeit gebotene Ausglei— 
chung der begangenen Uebeltat. Sie soll dem Verletzten zur Genug— 
tuung und Sühne, zugleich aber auch dem Bestraften zur Warnung 
und Besserung und den anderen zur Abschreckung dienen. 
Die Gesamtheit der Vorschriften darüber, welche Handlungen 
strafbar sind und welche Strafen wegen ihrer erkannt werden 
sollen, nennen wir das Strafrecht oder auch das materielle Straf— 
recht, im Gegensatz zu dem formellen Strafrecht oder Strafpro- 
zeßrecht. Das letztere enthält die Vorschriften, welche bei Einlei- 
tung und Durchführung eines Strafverfahrens zu beachten sind. 
I. Die Strafgesetze. 
Eine Handlung darf grundsätzlich nur dann mit Strafe belegt 
werden, wenn schon zur Zeit ihrer Begehung diese Strafe für die 
Handlung durch das Gesetz angedroht war. Daraus ergibt sich 
zweierlei, nämlich, daß eine Bestrafung sich nur auf ein ausdrückliches 
Gesetz, nicht auf ein Gewohnheitsrecht oder eine Uebung stützen darf, 
und daß kein Strafgesetz rückwirkende Kraft besitzt. 
Das deutsche Strafrecht ist im wesentlichen in dem am 1. Januar 
1872 in Kraft getretenen, seither in mancher Hinsicht abgeänderten 
Reichsstrafgesetzbuch (Abkürzung: „RStB.“) enthalten; 
doch weisen daneben noch zahlreiche andere Reichs= und Landesgesetze 
Strafbestimmungen, besonders bezüglich der Zoll-, Steuer= und Poli- 
zesiübertretungen, auf. 
Die deutschen Strafgesetze finden Anwendung auf alle im In- 
lande (sei es von Deutschen oder von Ausländern) begangenen straf- 
baren Handlungen. Im Auslande begangene Straftaten werden nur 
ausnahmsweise nach deutschen Gesetzen und von deutschen Gerichten 
geahndet. Zum Zwecke dieser Ahndung, sowie in dem weit häu- 
figeren Falle, daß der Täter nach einer im Inlande verübten Tat 
ins Ausland flüchtete, ist in der Regel zunächst erforderlich, daß er 
von der Regierung des fremden Staates ausgeliefert werde. Es sind 
deshalb mit vielen Staaten Auslieferungsverträge abge- 
schlossen worden, in welchen die eine Auslieferung begründenden Ver- 
gehen einzeln bezeichnet sind; doch liefern fast alle Staaten (unter 
ihnen auch das Deutsche Reich) grundsätzlich keinen eigenen Staats- 
angehörigen einem fremden Staate aus. Auch findet wegen sog. poli- 
tischer Verbrechen regelmäßig keine Auslieferung statt. 
Die Bestimmungen der Strafgesetze finden im allgemeinen auch 
auf die strafbaren Handlungen der Militärpersonen Anwendung. Für 
die Bestrafung der besonderen militärischen Verbrechen und Vergehen 
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