Einleitung 117
wirtschaftliche Entwicklung und politische Einheit überaus wertvolles,
zur Zeit der Zerrissenheit Deutschlands vergeblich erstrebtes Gut.
Das „Bürgerliche Gesetzbuch für das Deutsche
Reich“, an dessen Ausarbeitung jahrzehntelang gearbeitet wurde,
ist mit dem 1. Januar 1900 in Kraft getreten. Es enthält neben den
allgemeinen Lehren zunächst das Recht der Schuldverhält-
nisse, welches insbesondere von dem Abschluß, dem Inhalt und der
Wirkung der Verträge handelt. Das Sachenrecht ferner behan-
delt den Erwerb, Inhalt und Verlust der Rechte, welche jemanden an
beweglichen und unbeweglichen Gütern zustehen können. Das Fa-
milienrecht regelt die Wirkungen, welche Ehe und Verwandt-
schaft in persönlicher und vermögensrechtlicher Hinsicht ausüben, so-
wie die Vormundschaft und Pflegschaft für Minderjährige und deren
bedürftige Volljährige. Das Erbrecht endlich bestimmt, auf wen,
auf welche Weise und in welchem Umfange die Vermögensrechte und
die Verbindlichkeiten Verstorbener übergehen.
Neben dem Bürgerlichen Gesetzbuch (abgekürzt „BG#“ genannt,)
und seinem Einführungsgesetze enthalten aber noch eine Reihe ande-
rer Reichsgesetze zivilrechtliche Vorschriften, so z. B. die Gesetze über
das Urheberrecht an Erfindungen, an Werken der Literatur und
Kunst usw., ferner die Gesetze über die Beurkundung des Personen-
standes, über die Erwerbs= und Wirtschaftsgenossenschaften, über die
Anfechtung von Rechtshandlungen usw. Von besonderer Bedeutung
sind ferner das Handelsgesetzbuch für das Deutsche Reich, welches für
den Handelsverkehr eine Anzahl besonderer zivilrechtlicher Normen
aufstellt, sowie die Deutsche Wechselordnung, welche den Verkehr mit
Wechseln regelt.
Endlich mußten wegen der Verschiedenheit der Verhältnisse in
verschiedenen Teilen des Reiches einzelne Gebiete des bürgerlichen
Rechts auch der Landesgesetzgebung zur Regelung überlassen bleiben,
so daß also auch in Landesgesetzen (z. B. in den Ausführungsgesetzen
zum BG#/) Vorschriften des bürgerlichen Rechts enthalten sind. Von
der Reichsgesetzgebung abweichende Bestimmungen dürfen aber die
baherisches Landrecht genannt) in dem größten Teile der älteren
Gebietsteile Bayerns. In Sachsen war das sächsische Bürgerliche Gesetz-
buch, in den Rheinlanden usw. das französische Zivilrecht maßgebend, das
mit Zusätzen als Badisches Landrecht auch in Baden eingeführt war. Da-
neben gab es aber noch eine Unzahl anderer Partikularrechte; so zählte man
im Königreich Bayern 114 verschiedene, in Geltung befindliche Zivilrechte
auf. Nicht nur in derselben Gemeinde waren zuweilen verschiedene Rechte
in Geltung, sondern es kam sogar vor, daß in den verschiedenen Räumen
einer und derselben Wohnung verschiedenes Recht galt.
333
334
335