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292 Die innere Verwaltung
Den besten Schutz gegen die Ansteckung mit Blattern oder
Pocken bildet die seit langer Zeit bewährte, durch Reichsgesetz vom
Jahre 1874 allgemein vorgeschriebene Impfung mit Schutz-
pocken. Dieser Impfung sind alle Kinder in der Regel zweimal zu
unterziehen und zwar in dem auf das Geburtsjahr folgenden Kalen-
derjahr und zum zweiten Male in dem Kalenderjahre, in welchem sie
ihr 12. Lebensjahr vollenden. Sie wird vom öffentlichen Impfarzt
(d. i. in Bayern in der Regel der Bezirksarzt) kostenfrei vorgenom-
men. Bleibt die Impfung erfolglos, so ist sie im nächsten Jahre und
nötigenfalls nochmals im dritten Jahre zu wiederholen. Ueber jede
Impfung wird vom Arzte ein Impfschein ausgestellt. Eltern und
Pflegeeltern, welche ihre Kinder der Impfung trotz amtlicher Auf-
forderung entziehen, haben Geldstrafe zu gewärtigen.
IV. Die Irrenfürsorge.
Die öffentlich-rechtliche Fürsorge für die Geisteskranken obliegt
zunächst den Distriktsverwaltungsbehörden. Diese haben ein Ver-
zeichnis der Geisteskranken ihres Bezirks zu führen und
sie gemeinsam mit dem Bezirksarzt zu überwachen. Wird ein Geistes-
kranker gemeingefährlich, hat er insbesondere einen Angriff
gegen Personen oder fremdes Eigentum verübt oder die öffentliche
Sittlichkeit gefährdet und kann ein Strafverfahren gegen ihn wegen
seines Geisteszustandes nicht durchgeführt werden, so hat die Polizei-
behörde seine Verwahrung anzuordnen und insbesondere nötigenfalls
seine Unterbringung in einer Irrenanstalt zu verfügen. Diese An-
ordnungen können jedoch nur nach Durchführung eines Verfahrens
erfolgen, das unnötige Freiheitsbeschränkungen hintanhalten soll.“
* Die Impfung stützt sich auf die Erfahrung, daß Personen, welche
an den Pocken erkrankt waren, gegen eine erneute solche Erkrankung auf
lange Zeit hinaus geschützt sind. Sie bezweckt daher, durch Uebertragung
des von Kühen entnommenen Krankheitsstoffes bei den Geimpften eine nur
sehr geringe, aber vor künftiger Wiederansteckung gleichwohl sichernde Er-
krankung künstlich hervorzurufen. Die Gegnerschaft, welche die Impfung
bei einzelnen immer noch findet, rührt zum größten Teil daher, daß früher
der Impfstoff (die sog. Lomphe) den kurz zuvor geimpften Personen ent-
nommen wurde, wobei allerdings zuweilen auch andere Krankheitsstoffe
mitübertragen worden sein mögen. Solche Folgen der Impfung sind aus-
geschlossen seit der allgemeinen Einführung der Tierlymphe, welche
von sorgfältig untersuchten und beobachteten Kühen gewonnen wird. Die
Folge der allgemeinen Impfung ist, daß die Blattern, welche in früherer
Zeit ungemein verheerend auftraten, heute bei uns fast ganz verschwunden
sind. Zur Gewinnung von Lymphe besteht in Bahern die Zentralimpf-
anstalt.
" Selbstverständlich kann bei Gefahr auf Verzug eine vorläufige
Unterbringung ohne weiteres erfolgen.