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312 Das Wirtschaftsleben
diese Wissenschaft gewonnenen Erkenntnis lehrt sodann die Volks-
wirtschaftspolitik die Grundsätze, nach welchen die Staats-
gewalt die Volkswirtschaft am zweckmäßigsten fördert. Je nach den
einzelnen Wirtschaftszweigen, auf welche sich die Volkswirtschafts-
politik richtet, nimmt sie verschiedene Namen an, z. B. Gewerbe-
politik, Handelspolitik, Sozialpolitik, Land-
wirtschaftspolitik ufw.
Entsprechend dem Stande der volkswirtschaftlichen Erkenntnis
hat man zu verschiedenen Zeiten verschiedene Systeme zur Förderung
der Volkswirtschaft verfolgt.
Vom 16.—18. Jahrhundert herrschte das sog. Merkantil-
system, welches als wichtigste volkswirtschaftliche Aufgabe ansah,
den Geldreichtum des Volkes, welcher die Grundlage seiner Macht sei,
zu vermehren durch Förderung des inländischen Gold= und Silber-
bergbaues, durch künstliche, im Wege einer absolutistisch-bureaukra-
tischen Staatsverwaltung angestrebte Hebung der Industrie, durch
Beförderung des Ausfuhrhandels und Verhinderung der Warenein-
fuhr aus dem Ausland mittels sogenannter Prohibitivzölle.
Diesem System traten um die Zeit der französischen Revolution
die sog. Physiokraten entgegen, welche das freie Waltenlassen
der Natur und des Individuums forderten, sich gegen das Zuviel-
regieren wendetens und in der Landwirtschaft die allein produktive
Arbeit erblickten.
Der Begründer der eigentlichen, wissenschaftlichen Volkswirt-
schaftslehre ist der Schotte Adam Smith (1723—1790), welcher
die zerstreuten Lehrsätze der früheren Schulen von ihren Einseitig-
keiten befreite und zu einem wissenschaftlich begründeten System zu-
sammenfügte. Er kommt zunächst in der Wirtschaftspolitik zu dem-
selben Ergebnis, wie die Physiokraten, indem er davon ausgeht, daß
im wirtschaftlichen Leben Naturgesetze walten, die man sich selbst über-
lassen müsse. Das Selbstinteresse des einzelnen führe ihn von selbst
dazu, so zu handeln, wie es der Gesamtheit förderlich sei. Der kurz-
sichtige Egoismus werde durch die Konkurrenz im Zaume gehalten.
geschrittenere: W. Roscher, Syhystem der Volkswirtschaft, 5 Bände,
Schmoller, Grundriß der allg. Volkswirtschaftslehre, 2 Bände, und
Schönbergs Handbuch der politischen Oekonomie, 4 starke Bände.
Neben diesen Werken wurde für die vorliegende Arbeit unter anderen
noch benützt: Wörterbuch der Volkswirtschaft, herausgegeben
von L. Elster, 2 Bände, 1898, und Gottheiner, Leitfaden der prakt.
Volkswirtschaftslehre.
Dieses physiokratische System wird herkömmlich charakte-
risiert durch die in einem Vortrag des Finanzministers Gournay an König
Ludwig XV. enthaltenen Worte: „Laissez faire, laisse
päasser, cCar le monde va de lui méme.“