105
106
38 Das Staatsrecht des Reichs
zeichnung, s. Nr. 16), wodurch er die Verantwortlichkeit für sie
übernimmt; er ist daher der einzige verantwortliche
Minister des Reichs.“
Dem Reichskanzler unterstehen die gesamte Reichsverwaltung und
alle Reichsbehörden; er leitet namentlich auch nach dem Willen des
Kaisers die auswärtigen Beziehungen des Reichs. Er ist Mitglied
und Vorsitzender des Bundesrats und in der Regel zugleich preußi—
scher Ministerpräsident. Im Reichstag vertritt er die Politik des
Kaisers und der verbündeten Regierungen.
Die dem Reichskanzler unmittelbar dienende, ihn in der Erledi-
gung seiner Geschäfte unterstützende Behörde heißt die Reichs-
kanzlei. Sie vermittelt den Verkehr des Reichskanzlers mit den
einzelnen obersten Reichsbehörden.
2. Die Reichsbehörden.
Das Reich beschränkt sich, wie schon früher gezeigt (s. Nr. 51),
fast auf allen Gebieten, welche seiner Gesetzgebung unterworfen sind,
hinsichtlich des Vollzugs darauf, die oberste Leitung in der Hand zu
behalten, während es die Durchführung des Vollzugs im einzelnen
den Bundesstaaten und deren Behörden überläßt. Daher kommt cs,
daß das Reich fast nur Zentralbehörden besitzt. Nur auf wenigen Ge-
bieten, wie auf demjenigen der auswärtigen Verwaltung und des
Post= und Telegraphenwesens, hat das Reich die ganze Verwaltung
an sich genommen. Nur zugunsten Bayerns und Württembergs be-
stehen auch insoweit Ausnahmen.
Die Zahl der unter dem Reichskanzler stehenden obersten Zen-
tralbehörden hat sich mit Ausdehnung der Reichstätigkeit ständig ver-
mehrt. So sind eine Reihe von Reichsämtern entstanden, an
deren Spitze regelmäßig ein Staatssekretär steht. Die letzteren
nehmen, da sie den Weisungen des Reichskanzlers unterworfen sind,
nicht eigentlich die Stelle von Ministern ein, sie handeln jedoch unter
eigener Verantwortlichkeit, soweit sie in ihrem Geschäftskreis mit der
Vertretung des Reichskanzlers beauftragt sind (s. Nr. 104 Anm.).
Zurzeit bestehen folgende Reichsämter:
“ Allerdings bestehen keine Bestimmungen darüber, in welcher Weise
der Reichskanzler für seine Amtshandlungen vom Volke zur Verantwortung
gezogen werden könnte. ·
Keiner Gegenzeichnung bedürfen die Anordnungen, welche der Kaiser
als Oberbefehlshaber des Heeres und der Marine erläßt, soweit sie den
Charakter eines militärischen Befehls tragen. ·
Für den Fall der Behinderung des Reichskanzlers kann der Kaiser
entweder einen allgemeinen Stellvertreter ernennen oder die Vorstände der
obersten Reichsbehörden für ihren Geschäftskreis als Stellvertreter bestellen;
diesen obliegt alsdann die Gegenzeichnung.