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46 Das Staatsrecht des Reichs
Mit der Freizügigkeit hängt nahe zusammen die Auswande-
rungsfreiheit, welche im Deutschen Reiche nur insofern ein-
geschränkt ist, als Personen in wehrpflichtigem Alter zur Auswande-
rung einer besonderen Erlaubnis bedürfen. Selbstverständlich können
auch Personen, welche strafgerichtlich verfolgt werden, an der Aus-
wanderung durch Verhaftung gehindert werden.5
Den Rechten der Staatsbürger stehen deren Pflichten gegen-
über, und zwar in erster Reihe, wie bereits oben (Nr. 7) erwähnt, die
Pflicht der Achtung und des Gehorsams gegen die
Gesetze und Anordnungen der Obrigkeit, die
Pflicht der Hingabe an das öffentliche Wohl und
der Unterlassung aller Handlungen, welche es gefährden. An
besonderen Pflichten sind ferner noch die allgemeine Wehrpflicht,
die Steuerpflicht, die Schulpflicht und die Pflicht
zur Uebernahme bürgerlicher Ehrenämter anzu-
führen.57 Im übrigen ist der Umkreis der Pflichten wie der Rechte
der Staatsbürger durch den Inhalt aller einzelnen Gesetze bestimmt
und entzieht sich daher hier einer erschöpfenden Aufzählung.
* Das Reichsgesetz über das Auswanderungswesen
(vom Jahre 1897) bezweckt vornehmlich den Schutz der Auswandernden
gegen Ausbeutung durch ausländische Kolonisationsgesellschaften und durch
die Auswanderungsunternehmer; es macht daher den Gewerbebetrieb der
letzteren von einer Konzession abhängig, welche nur für bestimmte Länder
und Orte vom Reichskanzler unter Zustimmung des Bundesrats erteilt wird.
Ihr Geschäftsbetrieb, sowie derjenige der Auswanderungsagenten, welcher
gleichfalls einer besonderen Erlaubnis bedarf, unterliegt der Beaufsichti-
gung; diese erstreckt sich auch auf die Seetüchtigkeit der Auswandererschiffe
und den Gesundheitszustand der Auswanderer. Zur Durchführung der
Beaufsichtigung sind in den Hafenstädten besondere Auswanderungs-
behörden eingerichtet; ferner übt in den Hafenplätzen der Reichskanzler
die Aufsicht über das Auswanderungswesen durch von ihm bestellte Kom-
missare aus. Zur Unterstützung in Fragen des Auswanderungswesens
ist dem Reichskanzler ein aus sachverständigen Mitgliedern bestehender
Beirat beigegeben.
* Was die Wahlen zu den gesetzgebenden und sonstigen Körperschaften
anlangt, so ist zwar in den Gesetzen eine dem aktiven Wahlrecht der
Staatsbürger entsprechende Wahlpflicht nicht ausdrücklich aufgestellt.
Zweifellos aber ist die Beteiligung an diesen Wahlen auch für diejenigen,
welche mit den bestehenden Zuständen im allgemeinen zufrieden sind, eine
bürgerliche Ehrenpflicht; denn wenn nur die mit den Verhältnissen Unzu-
friedenen an den Wahlen teilnehmen, so werden letztere ein durchaus
falsches Bild liefern, und es wird auf diese Weise die staatliche Entwicklung
in eine Richtung gedrängt, welche dem wirklichen Willen der Mehrheit des
Volkes nicht entspricht.