Die Gerichtsverfassung 75
ganzen Reiche ein mindestens dreijähriges Universitätsstudium, der
zweiten eine mindestens ebenso lange praktische Vorbereitungszeit bei
Gerichten usw. vorhergehen. Zum Richteramt befähigt ist auch jeder
ordentliche Rechtslehrer an einer deutschen Universität.
3. Die Organisation der Gerichte.
Unsere deutschen Gerichte sind Staatsgerichtes; damit ist
die Privat= oder Patrimonialgerichtsbarkeit, welche früher den
Städten, Standesherrn usw. zustand, aufgehoben.3 Auch die geist-
liche Gerichtsbarkeit hat, wo sie noch ausgeübt wird, keine bürger-
liche Rechtswirkung mehr.
Dieordentlichen Gerichte sind die für das ganze Reich gleich-
mäßig organisierten Gerichte, nämlich die Amtsgerichte, die
Landgerichte, die Oberlandesgerichte und das
Reichsgericht zu Leipzig. Alle diese Gerichte sind sowohl mit
der Zivil= als mit der Strafrechtspflege befaßt.“ Die Bezirke einer
größeren Anzahl von Amtsgerichten bilden jeweils den Bezirk des
ihnen im Instanzenzug vorgesetzten Landgerichts; die Bezirke meh-
rerer Landgerichte bilden den Bezirk des übergeordneten Ober-
landesgerichts, und das Reichsgericht schließlich umfaßt die Bezirke
aller Oberlandesgerichte, d. h. das ganze Reich.
sogenannte Zwischenprüfung und am Schlussc des Universitätsstudiums die
sogenannte erste Prüfung ablegen. Sie müssen als „Rechtsprakti-
kanten“ im ganzen drei Jahre teils bei Gerichten, teils bei Behörden
der inneren Verwaltung, teils bei Rechtsanwälten praktisch tätig sein; dann
haben sie sich der zweiten Prüfung, dem sogenannten Staatskonkurs,
zu unterziehen und hernach, bis sie angestellt werden, sich noch weiter teils
bei Behörden, teils bei gewissen Privatinstituten zu beschäftigen.
* Nur für geringere Privatrechtsstreitigkeiten zwischen Einwohnern der-
Leen Gemeinde bestehen in Württemberg und Baden noch Gemeinde-
gerichte.
Die sachliche Zuständigkeit der einzelnen Gerichte ist des besseren Zu-
sammenhanges wegen bei Darstellung des Prozeßverfahrens behandelt.
* In Bahern bestehen 267 Amtsgerichte, 28 Landgerichte und 5 Ober-
landesgerichte; letztere haben ihren Sitz zu München, Zweibrücken, Bam-
berg, Nürnberg und Augsburg. Mit 8 Landgerichten sind Schwurgerichte
verbunden.
Bayern hat, abweichend von der für die anderen deutschen Staaten
bestehenden Gerichtsorganisation, ein Oberstes Landesgericht zu
München. Dieses ist zuständig für gewisse Revisionen und Beschwerden
in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, die in den anderen
deutschen Staaten dem Reichsgerichte obliegen, ferner in Strafsachen
für die in den anderen deutschen Staaten zur Zuständigkeit der Oberlandes-
gerichte gehörigen Revisionen und Beschwerden, endlich in Grundbuch-
sachen und anderen Angelegenheiten der freiwilligen
Gerichtsbarkeit für die in den anderen deutschen Staaten zur
Zuständigkeit der Oberlandesgerichte gehörigen weiteren Beschwerden.
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