Full text: Badisches Verfassungsrecht.

I. Geschichte der Verfassung. 25 
3. die Wahlkreiscinteilung für die Wahlen zur zweiten Kam- 
mer der Ständeversammlung. 
Zur Begründung dieser Vorlage! wurde in der Regierungs- 
begründung zu dem Gesetzentwurf, betreffend die Abänderung der 
Verfassung, folgendes ausgeführt: 
„Seit dem Inkrafttreten der badischen Verfassung sind die 
Abgeordneten zur zweiten Kammer durch Vermittlung von Wahl- 
männern gewählt worden. Die Schöpfer dieses indirekten Wahl- 
spstems gingen von dem Gedanken aus, daß cine reiflichere Ueber- 
legung und einc allseitigere Würdigung der bei der Auswahl des 
Abgeordneten in Betracht kommenden Vorhältnisse gewährleistet sei, 
wenn der Abgeordnete durch einen engeren Kreis von Vertrauens- 
männern gewählt werde, die von den Wahlberechtigten in den Einzel- 
gemeinden oder in engeren Wahldistrikten zu bezcichnen sind. Man 
war insbesondere der Ansicht, eine durch Vermittelung solcher Ver- 
trauensmänner gewählte Abgeordnetenkammer werde in höherem 
Maße das Spiegelbild der im Volksleben wirksamen geistigen, sitt- 
lichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kräfte darstellen. Scit- 
dem bei Errichtung des Deutschen Reichs für die Bildung des Reichs- 
tags das direkte Wahlsystem zugrunde gelegt worden ist, hat sich all- 
mählich wachsend einc Bewegung geltend gemacht, welche auch in den 
Einzelstaaten das indirekte Wahlsystem durch das direkte zu ersetzen 
sucht. Während ursprünglich in allen größeren deutschen Staaten 
die zweite Kammer indirekt zu wählen war, hat zuerst Württemberg 
mit Gesetz vom 26. März 1868 die direkte Wahl der Abgecordneten 
cingeführt, freilich unter Belassung eines kleineren Teils von Mit- 
gliedern, die vom ritterschaftlichen Adel zu wählen sind oder kraft 
ihres staatlichen oder kirchlichen Amts der zweiten Kammer ange- 
bören, und sind neuerdings auch in Bayern und Hessen den Land- 
ständen Vorlagen gemacht worden, welche auf Beseitigung der in- 
direkten Wahl abzielen. 
Wenn die Regierung seither gegenüber der auf Einführung 
der direkten Wahlen gerichteten Bewegung mit Vorschlägen zur 
Abänderung des Wahlverfahrens zurückgehalten hat, so war für 
sie einerseits die Tatsache bestimmend, daß bis zum letzten Land- 
tage eine den Erfolg der Reform verbürgende Klärung der Anschau- 
ungen über die zu verfolgenden Ziele im Schoße der Volksvertretung 
nicht hervorgetreten war; anderseits aber konnte sie sich auch 
der Besorgnis nicht verschließen, es möchten eine Anzahl der im gei- 
stigen und wirtschaftlichen Leben des Volks wirksamen und für die 
1. Verh der 1I. K 1903/04, 2. Beil Heft, Drucks Nr 26 a—c.
	        
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