26 I. Geschichte der Verfassung.
Entwicklung des Ganzen bedeutungsvollen Kräfte nicht in ihrem
wirklichen Stärkewert im Landtag zum Ausdruck gelangen, sofern
die der Volksvertretung durch Wahlen angehörigen Mitglieder aus-
schließlich im Wege der unmittelbaren und allgemeinen Abstimmung
berufen würden. Diese Besorgnis hat zu der Erwägung Anlaß ge-
geben, ob nicht bei Einführung der direkten Wahl zu bestimmen
wäre, daß den durch allgemeine und unmittelbare Abstimmung
berufenen Abgeordneten eine kleinere Zahl hinzuzutreten habe,
welche aus den Wahlen der den wirtschaftlichen und kommunalen
Selbstverwaltungskörpern angehörigen Personen hervorgehen. Im
Hinblick auf die am 4. Juli 1902 von der zweiten Kammer ein-
stimmig gefaßten Beschlüsse erscheint aber das Beschreiten dieses
Wegs, für den sich früher im Landtag gewichtige Stimmen ausge-
sprochen hatten, als aussichtslos; der Entwurf versucht daher jenes
Ziel auf eine andere Weise zu erreichen, nämlich auf dem in jenem
Beschlusse der zweiten Kammer angedeuteten Wege einer Rcorgani-
sation der ersten Kammer im Sinne einer stärkeren Vertretung der
auf Gesetz beruhenden kommunalen und wirtschaftlichen Körper-
schaften.
Nach den Vorschlägen des Entwurfs über die Abänderung der
Verfassung und der dazu gehörigen Gesetzentwürfe über die Land-
tagswahlen und über die Wahlkreiseinteilung sollen in Zukunft die
Wahlen sämtlicher Mitglieder der zweiten Kammer, deren Zahl von
63 auf 70 erhöht würde, auf der Grundlage des allgemeinen, glei-
chen, unmittelbaren und geheimen Wahlrechts stattfinden; jeder Ab-
geordnete würde in einem besonderen Wahlkreise gewählt werden,
und cs würden die Wahlkreise neu eingeteilt werden, wobei neben
dem Gesichtspunkte der möglichst gleichen Bevölkerungszahl auch die
geschichtlichen und administrativen Zusammenhänge und das seither
den größeren Städten zugestandene Mehrgewicht berücksichtigt wer-
den sollen. In Verbindung mit dieser Verfassungsänderung, welche
die Mitgliederzahl der zweiten Kammer wesentlich vermehrt und
die Bevölkerung zur unmittelbaren Wahl der Abgcordneten beruft,
würde nach den Vorschlägen des Entwurfs auch die erste Kammer
um eine Anzahl von Mitgliedern verstärkt und auf einen breiteren
Boden gestellt werden. Es sollen nämlich die gesetzlichen Organe der
großen wirtschaftlichen Berufszweige, der Großindustric und des
Großhandels, des Kleingewerbes und der Landwirtschaft dazu be-
rufen werden, im ganzen sechs Vertreter in die erste Kammer zu
wählen; und außerdem würde Fürsorge dafür getroffen, daß der
ersten Kammer mindestens vier Mitglieder angehören, welche durch
das Vertrauen ihrer Mitbürger zum Oberbürgermeister oder Bür-