30 1. Geschichte der Verfassung.
Die Vorschläge der Regierung wurden in ihrer Gesamtheit als eine
Grundlage anerkannt, auf welcher eine Einigung innerhalb der
zweiten Kammer selbst und eine Verständigung mit der Regierung
sich möglicherweise herbeiführen lasse. Hervorgehoben wurde ins-
besondere mit Genugtuung, daß der Charakter der zweiten Kammer
als reiner Volkskammer erhalten bleiben soll. Dagegen trat doch
auch alsbald zutage, daß einige dieser Vorschläge bei sämtlichen,
andere bei cinzelnen Kommissionsmitgliedern mehr oder minder
schwere Bedenken erregten. Als bedenklichster Punkt trat alsbald
in den Vordergrund die Verschiebung in der Berechtigung beider
Kammern in bezug auf die die Finanzen betreffenden Gesetzent-
würfe, zumal im Hinblick auf die vorgesechenc, ziemlich erhebliche
Verstärkung der Mitgliederzahl der ersten Kammer. Daneben er-
hoben sich mehrere Stimmen mit Entschiedenheit gegen die vorge-
sohene Zahl der Abgcordneten zur zweiten Kammer, innerhalb wel-
cher bei der Festhaltung an den sog. Privilegien der Städte cine
Verschiebung der Zahl der Abgeordneten zwischen Stadt und Land
zu Ungunsten des letzteren eintreten würde. Einzelne Mitglieder
ertlärten die oben angeführten Einschränkungen der Wahlberech-
tigung teils für unannchmbar, teils für sehr bedenklich. Die beab-
sichtigte Einteilung der Städte, welche mehrere Abgeordnete zu
wählen haben, in Einerwahlkreise durch landesherrliche Verordnung
begegnete auf mehreren Seiten lebhaftem Widerspruch, und es wurde
zu erwägen gegeben, für diese Städte das System der Verhältnis-
wahlen einzuführen oder doch die Einteilung in Einerwahlkreise
dem Gesetze vorzubehalten. Bedenklich erschien auch die Regelung,
wonach für den zweiten Wahlgang der Wahlen zur zweiten Kam-
mer eine Beschränkung der Kandidaten auf solche, welche schon im
ersten Wahlgang Stimmen erhalten haben, nicht stattfinden soll.
Die Frage der Reform der ersten Kammer wurde in unlösbaren
Zusammenhang gebracht mit der anderen Frage, ob und inwicweit
eine Steigerung ihrer Berechtigung in bezug auf die die Finanzen be-
treffenden Gesetzentwürfe eintritt. Dies gilt namentlich von der
Vermehrung der Zahl der Mitglieder der ersten Kammer. An sich
wurden Einwendungen gegen die Aufnahme eines Vertreters der
Technischen Hochschule und der sechs Vertreter von Interessenkorpo-
rationen nicht geltend gemacht. Günstige Aufnahme fand die aus
der Kommission ergangene Anregung, auch einer künftigen gesetz-
lichen Organisation der Arbeiter eine Vertretung einzuräumen.
Dagegen wurde die Gewährung des Stellvertretungsrechts an die
Standesherren und erblichen Landstände und an die kirchlichen Wür-
denträger zum Teil mit Entschiedenheit beanstandet. Der Gedanke,