J. Geschichte der Verfassung. 31
den größeren Gemeinwesen einige besondere Vertreter in der ersten
Kammer einzuräumen, wurde allgemein als vollkommen berechtigt
anerkannt, aber die vorgesehene Art der Durchführung fand von
keiner Seite Billigung.
In drei öffentlichen Sitzungen der zweiten Kammer, am 19.
und 20. Mai 1904, wurden die Anträge der Kommission beraten
und — mit zwei Abänderungen in § 34 und Art 7 Ziff 1 — mit
allen gegen dice sechs Stimmen der sozialdemokratischen Abgcord-
neten angenommen.
Die wesentlichen Aenderungen, welche der Entwurf in der
zweiten Kammer erfuhr, sind folgende:
1. Der ersten Kammer soll auch cin von der Organisation der
Arbeiter (Arbciterkammer) gewählter Abgcordneter angehören, so-
bald eine solche Organisation reichs= oder landesgesetzlich für das
Großherzogtum geschaffen ist.
2. Ferner sollen an Stelle der Ernennung durch den Landes-
herrn durch Wahl in die erste Kammer berufen werden: zwei Ober-
bürgermeister der der Städtcordnung unterstehenden Städte, ein
Bürgermeister einer sonstigen Stadt mit mehr als 3000 Einwohnern
und ein Mitglied eines der Kreisausschüsse; die Wahl soll durch
die Mitglieder der Stadträte bzwm Gemeinderäte der betreffenden
Städte, bzw durch dic sämtlichen Kreisausschußmitglieder des Lan-
des geschehen. Im Zusammenhang damit soll die Zahl der vom
Großherzog ernannten Mitglieder der ersten Kammer von zehn auf
sechs herabgesetzt werden.
3. Das Stellvertretungsrecht der Standesherren, erblichen
Landstände und kirchlichen Würdenträger soll in Wegfall kommen.
4. Die Zahl der Mitglieder der zweiten Kammer soll statt
siebenzig dreiundsiebenzig betragen.
5. Statt der für die Teilnahme an den Wahlen zur zweiten
Kammer verlangten zweijährigen Dauer des Wohnsitzes und des
Besitzes der badischen Staatsangchörigkeit wird der Wohnsitz im
Großherzogtum nur für die Zeit der Wahl gefordert, wenn der Be-
sitz der Staatsangchörigkeit schon mindestens zwei Jahre dauerte;
es soll aber der einjährige Besitz der Staatsangehörigkeit genügen,
wenn der Wohnsitz unmittelbar vor der Wahl mindestens ein Jahr
gedauert hat.
6. Die Städte, welche mehr als einen Abgcordneten zur zwei-
ten Kammer zu wählen haben, sollen je einen Wahlkreis bilden, in
welchem die Abgeordneten durch Verhältniswahlen bestimmt werden.
7. Hinsichtlich des Vorrechts der zweiten Kammer bei Finanz-
gesetzen soll im wesentlichen der bisherige Zustand beibchalten, aber