154 Verfassungsurkunde. § 88.
8 35 Abs. 1, nach dem Ständischen Verf. Entw. von 1816 Kap. X
§ 1 und nach dem K .Verf. Entw. von 1817 § 150 betrifft ein der
ständischen Zustimmung bedürftiges Gesetz entweder die Lan-
desverfassung oder die Freiheit der Person und
des Eigentums der Staatsangehörigen. (Vgl. Fricker
Vu. S. 9, 57, 111.) Die positive Gesetzgebung hat sich auch in neuerer
Zeit einer Legaldefinition enthalten; der Art. 2 EGG. z. BGB. gibt
nur eine Umschreibung: Gesetz ist jede Rechtsnorm. Somit sind die
Ergebnisse der Wissenschaft und der Praxis heranzuziehen. Zunächst
besteht nun darüber kein Zweifel, daß unter Gesetz im formellen
Sinn jeder Befehl der Staatsgewalt zu verstehen ist, der unter
Einhaltung der verfassungsmäßig für die Gesetzgebung vorgeschrie-
benen Formen durch den König mit Gegenzeichnung eines Ministers
nach vorgängiger Zustimmung der Stände erlassen und verkündet
worden ist, und daß jede Willenserklärung der Staatsgewalt, jede
staatliche Anordnung ohne Rücksicht auf ihren Inhalt in die Form
eines Gesetzes in diesem formellen Sinne gekleidet werden kann.
Ist dies geschehen, so kann unstreitig ein solches Gesetz, welchen
Inhalt auch immer es haben mag, nur im Gesetzgebungswege, also
mit Zustimmung der Stände, aufgehoben oder abgeändert werden.
Ein Zweifel besteht auch darüber nicht, daß der Gesetzgebungsweg
einzuhalten ist, wenn er für die Gültigkeit einer Regierungshand-
lung, z. B. die Festsetzung des Betrags der Civilliste, die Abgaben=
verwilligung, die Abgrenzung der Kreise und Oberamtsbezirke, durch
die Verfassung oder ein sonstiges Gesetz ausdrücklich vorgeschrieben
ist. Im übrigen sind nach Mohl, Staatsrecht, Bd. 1 S. 67,
„der wesentliche und notwendige Gegenstand der Gesetze alle die-
jenigen Befehle der Staatsgewalt, welche die Rechte der Bürger
auf irgend eine Weise, sei es ausdehnend, sei es beschränkend, sei
es erläuternd, betreffen“; Sarwey, Staatsrecht, Bd. 2 S. 5 be-
zeichnet als Gegenstand der Gesetzgebung „jede allgemeine Vor-
schrift der Staatsgewalt, durch welche die Willensfreiheit der ein-
zelnen bestimmt und beschränkt wird, durch welche also denselben
eine durch die Organe des Staats erzwingbare Verpflichtung zu
einem bestimmten Handeln oder Unterlassen auferlegt wird.“ Nach
Gaupp-Göz, Staatsrecht S. 177 begreift die Verfassungsurkunde