Full text: Die Verfassungsurkunde für das Königreich Württemberg.

Verfassungsurkunde. § 89. 161 
betont; von einer Seite wurde ein Beisatz dahin gewünscht, daß 
die Stände von den getroffenen Verfügungen nachher so bald als 
möglich in Kenntnis gesetzt werden sollen, von einer anderen Seite 
dies als selbstverständlich bezeichnet 1). So steht die Notverordnung 
nahezu unbeschränkt in der Verfassung. In den Rechtszustand kann 
sie beliebig eingreifen, insbesondere auch Vorschriften der Verfassung 
aufheben und abändern. Eine Anführung der Gründe oder auch 
nur eine ausdrückliche Berufung auf eine Notlage ist nicht vorge- 
schrieben. Auch während die Stände versammelt sind, kann eine 
Notverordnung erlassen werden. Die Dauer der Notverordnung 
ist staatsrechtlich nur so lange gerechtfertigt, als die Sicherheit des 
Staates sie verlangt; formell aber bleibt sie mangels jeder Zeit- 
begrenzung in Kraft, bis sie durch Gesetz oder eine neue Notverord- 
nung beseitigt wird?. 
9. Die Notverordnung hat die Kraft eines Gesetzes; durch Lan- 
desgesetze können Reichsgesetze nicht geändert werden; auch im 
Wege des § 89 kann daher in die Wirksamkeit von Reichsgesetzen 
nicht eingegriffen werden. Nach Art. 68 der Reichsverfassung steht 
dem Kaiser das Recht zu, unter teilweiser Anwendung der Vor- 
schriften des Preußischen Gesetzes vom 4. Juni 1851 für den Fall 
des Krieges in den vom Feinde bedrohten oder besetzten Bezirken 
zum Zweck der Verteidigung und ohne Beschränkung auf die Kriegs- 
zeit für den Fall eines Aufruhrs bei dringender Gefahr für die 
öffentliche Sicherheit jeden Teil des Bundesgebiets mit Ausnahme 
von Bayern in Kriegszustand zu erklären mit der Wir- 
kung, daß die Oberleitung der gesamten staatlichen Verwaltung an 
die Militärbefehlshaber übergeht und eine zeitweise Aenderung des 
Strafrechts, unter Umständen auch der Gerichtsverfassung und des 
Strafverfahrens, eintritt. Den Landesherren steht für den Be- 
reich ihrer Staaten diese Befugnis nicht zu, in Württemberg ins- 
besondere kann sie aus § 89 Vll nicht abgeleitet werden, da dabei 
1) Vgl. Fricker a. a. O. S. 364 u. 365. 
2) Vgl. Mohl, Staatsrecht Bd. 1 S. 198—202; Bitzer a. a. 
O. S. 289 u. 290; Sarwey, Staatsrecht Bd. 2 S. 19—22; 
Gaupp-Göz S. 183. 
Göz, Verfassungsurkunde. 11
	        
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