Verfassungsurkunde. § 112. 221
gewohnheitsrechtlich die Hauptziffern der staatlichen Ausgaben und
Einnahmen teils im Finanzgesetz, teils in dem ihm beigegebenen
Hauptfinanzetat festgesetzt werden, an der inneren Natur des Etats
als eines Wirtschaftsplans, eines Voranschlags, einer Wahrschein-
lichkeitsberechnung, nichts geändert; damit, daß zwischen der Re-
gierung und den Ständen über die einzelnen Positionen des Etats
Uebereinstimmung erzielt ist, erhalten diese Positionen nicht die
Kraft von gesetzlichen Bestimmungen mit der Folge, daß die Re-
gierung und die Verwaltung an diese Positionen formell gebunden
wäre und nur mit Zustimmung der Stände davon abweichen könnte.
Der von der Regierung entworfene und von den Ständen gebilligte
Etat will der Verwaltung nur eine durch vorausgesetzte Verhält-
nisse bestimmte Richtschnur und Direktive geben; ändern sich diese
Verhältnisse, treten nicht vorausgesetzte Ereignisse ein, so ist die
Verwaltung ohne weiteres zur entsprechenden Aenderung des Wirt-
schaftsplanes berechtigt. Die Güte der Verwaltung zeigt sich nicht
darin, daß sie ängstlich und schablonenhaft am Etat klebt, sondern
darin, daß sie die Verantwortung auf sich nimmt, bei einer Aende-
rung der Verhältnisse in Abweichung von dem Etat zweckent-
sprechende Maßregeln zu treffen.
Dem Finanzgesetz eigentümlich ist die Beschränkun gseiner
Wirksamkeit auf eine bestimmte Zeit; doch kommt dieser
Grundsatz für das württemb. Finanzgesetz nicht zur vollen Geltung:
a) Wie bereits bemerkt (S. 206), ist es in Württemberg üblich
geworden, in das Finanzgesetz auch Vorschriften über Angelegen-
heiten, die an sich der ordentlichen Gesetzgebung angehören, wie
Anlehensaufnahmen, Pensionsberechtigungen, wegen ihres Zusam-
menhangs mit dem Etat aufzunehmen. Diese Uebung, die störend
für die richtige Würdigung des Finanzgesetzes wirkt, die praktische
Tragweite des § 181 Vu. zu verdunkeln und die Rechte der Ersten
Kammer zu beeinträchtigen geeignet ist, kann an den maßgebenden
Rechtssätzen nichts ändern; innerhalb des Finanzgesetzes sind dann
zweierlei Bestandteile zu unterscheiden, finanzgesetzliche und der or-
dentlichen Gesetzgebung angehörende, die sowohl bezüglich der Vor-
aussetzungen ihrer Entstehung als bezüglich ihrer Wirkungen einer
verschiedenen Beurteilung unterliegen.