Full text: Die Verfassungsurkunde für das Königreich Württemberg.

342 Verfassungsurkunde. § 176—177. 
Bürgerausschusse schreibt der Art. 10 Abs. 4 der Verwaltungsnovelle 
vom 21. Mai 1891 vor: „Dem Obmann des Bürgerausschusses oder 
seinem Stellvertreter kommt im Falle des Art. 11 Abs. 1 (Vereinigung 
beider Kollegien zu gemeinsamer Verhandlung und Abstimmung im 
Falle der Meinungsverschiedenheit) ein unbeschränktes Stimmrecht 
zu, sonst hat er nur bei Stimmengleichheit die ent- 
scheidende Stimme.“ 
Ist die hier verteidigte Auffassung richtig, so enthält die Aus- 
dehnung des Stimmrechts des Präsidenten über den Fall der Stimmen- 
gleichheit hinaus die Abänderung eines Punktes der Verfassung und 
erfordert zu ihrer Gültigkeit die Einhaltung der für solche Aende- 
rungen vorgeschriebenen Förmlichkeiten . 
§ 177. Vertrauliche Besprechungen zwischen beicken Kammers. 
Die zum Wirkungzkreise der Stände gehörigen Angelegen- 
heiten werden in jeder Kammer besonders verbandelt. Doch 
können, um eine Ausgleichung verschiedener Ansichten zu ver- 
suchen, beide Kammern sich mit einander zu vertraulichen Be- 
sprechungen, ohne Hrotokollführung und Beschlußnahme, ver- 
einigen. 
1. Der § 177 ergänzt den § 128. Nach der Ansicht und Ab- 
sicht des Gesetzgebers, wie sie namentlich in dem Kommissionsbericht 
1) Selbst wenn man nur die Zweifelhaftigkeit der Frage aner- 
kennt, empfiehlt sich die Einhaltung dieser Förmlichkeiten, denn unter 
Umständen ist die Rechtsgültigkeit eines Gesetzes, deren selbständige 
Prüfung auch den Gerichten zukommt, durch die verfassungsmäßige 
Ausübung des Stimmrechts des Präsidenten bedingt. Ein Bericht 
der staatsrechtlichen Kommission der Kammer der Abgeordneten vom 
7. Juni 1906 (Beil. 270) kommt im Gegensatz zu der dier vertretenen 
Ansicht auf Grund einer eingehenden Darstellung und Würdigung 
der Vorgänge zu der Annahme, daß dem Präsidenten das gleiche 
Stimmrecht wie jedem Abgeordneten und außerdem bei Stimmen- 
gleichheit die Entscheidung zusteht (Berichterstatter Freiherr v. 
Gemmingen); ein Kommissionsmitglied (Dr. v. Kiene) hat 
seine abweichende Ansicht besonders begründet. 
2) Vgl. Fricker a. a. O. S. 172, 196.
	        
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