Full text: Die Verfassungsurkunde für das Königreich Württemberg.

Verfassungsurkunde. X. Kapitel. 379 
Lücke der Landesgesetzgebung ausgefüllt, so daß die Vorschrift in 
vollem Umfange Geltung bekommen hat. 
Der Staatsgerichtshof hat nach seiner Organisativn die Be- 
deutung einer strafrichterlichen Behörde mit der 
Beschränkung auf politische Vergehen und auf 
Personen in politisch verantwortlicher und ein- 
flußreicher Stellung (Minister, Staatsbeamte, Mitglieder und 
Beamte der Ständeversammlung); er darf aber nicht als ausschließ- 
liche Disziplinarbehörde aufgefaßt werden, da auch außeramtliche 
Handlungen der ihm unterstellten Personen seiner Strafgewalt 
unterliegen. 
Mit den heutigen Bedürfnissen, wie sie sich teils infolge der 
Gründung des Reichs und der Verantwortlichkeit der Minister 
für die Abstimmungen im Bundesrat, teils auf Grund der Aus- 
bildung der Disziplinargerichtsbarkeit gegenüber den staatlichen und 
ständischen Beamten gestaltet haben, steht die verfassungsmäßige 
Zuständigkeit des Staatsgerichtshofs nicht im Einklang: einerseits 
ist sie zu eng, da sie nur Unternehmungen zum Umsturz der Lan- 
desverfassung und formale Verletzungen einzelner Punkte dieser 
Verfassung umfaßt, sich aber nicht auf Verletzungen der Reichsver- 
fassung und die Gefährdung der Sicherheit und Wohlfahrt des 
Staats erstreckt, andrerseits greift sie über das heutige Bedürfnis 
hinaus mit der Hereinziehung der Staatsdiener und höheren Be- 
amten der Ständeversammlung, sowie einzelner Handlungen von 
Ständemitgliedern. Im Jahre 1876 ist deshalb den Ständen der 
Entwurf eines Verfassungsgesetzes, betr. die Abänderung des X. Ka- 
pitels der Verfassungsurkunde über den Staatsgerichtshof, vorgelegt 
worden. Hiernach sollte der Gerichtshof beschränkt werden auf die 
Stellung eines Disziplinargerichts für schwere Pflichtverletzungen 
der Minister und deren Stellvertreter; gegen diese Personen allein 
war wegen einer durch Handlungen oder Unterlassungen wissentlich 
oder aus grober Fahrlässigkeit begangenen Verletzung der Reichs- 
oder Landesverfassung oder schwerer Gefährdung der Sicherheit 
oder Wohlfahrt des Staats die Erhebung der Anklage bei dem 
Staatsgerichtshof seitens der Ständekammern zugelassen mit der 
Maßgabe, daß im Falle der Verurteilung nur auf Dienstentlas-
	        
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