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Sohn Gottes habe wirklich uns jene allgemeine und ruͤcksichtslose Liebe gepredigt,
an deren Stelle sie nur Haß und Verfolgung gewahr wurden?
Durch Gottes Gnade hat dieser Geist anjetzt Gesinnungen Platz gemacht,
die auf alle Weise ein Werk begünstigen, das unsere Bäter mit keiner Wahrschein-
lichkeit des Erfolgs härten untemehmen können. Wir aber dürfen hoffen, daß
die Zeit gekommen sey, wo wir den Israeliten unsere alte Schuld der Dankbarkeit
entrichten können. Strecken wir ihnen denn unsere Arme entgegegen, und indem
wir zuerst sie um Vergebung bitten wegen der grausamen Unduldsamkeit, die wir
gegen sie geübt, werden wir sie auch bewegen, auf ihren Knieen und in reuigem
Schmerze denjenigen um Vergebung zu bitten, welchen der heidnische Krieger für
den Sohn Gorres erklärte, während ihre Bäter ihn an das Kreuz der Schmach und
des Todes hefteten.
Die Stimme Gottes sagt uns, daß die ganze Erde einft die Herrschaft Jesu
Christi anerkennen soll, daß vor allen die Kinder Israels ihn suchen werden in auf-
richtiger und bitterer Reue; daß nur nach ihrer Bekehrung die aller übrigen Völker
werde vollendet werden; ja daß vornehmlich die Israelitischen Christen jener allge-
meinen Bekehumg als Muster und Werkzeug dienen sollen. Welche dringendere
und heiligere Pflicht haben wir also zu erfüllen, als die: das Evangelium in ihre
Hände zu geben? denn aus un sern Händen, von den Nachkommen be-
kehrter Heiden, sollen sie es erhalten (Jes. 61I, 5. Röm. II, 30. 31).
Wie dürfen wir einer Pflicht uns entziehen wollen, die so deutlich ausgesprochen,
so wichtig, so heilig ist; ja auf deren Erfüllung Gott einen besondern Segen hat
legen wollen? Er verkündigt die schrecklichste Rache denen, die jemals als Feinde
Israels sich beweisen werden, selbst in solchen Zeiten, wo seine Rache auf Jakobs
Nachkommen lastet. Er erklärt, da er redet von seinem alten Volke: „Er wolle
fluchen dem, der ihm fluche;“ aber er erklärt auch: „Er werde segnen den, der
es segne.“
Haben aber wir Christen uns den Juden genähert, so sind auch sie wie-
derum uns näher gekommen. Jener Geist der Forschung und jener Zustand von
Bildung, der einen großen Theil der Israeliten in Deutschland auszeichnet, macht
sie empfänglicher, als sie ehemals waren, für die Sprache der Wahrheic, und
geneigter, sie aus unserm Munde zu vernehmen.
Fromme Christen in Deutschland haben sich bis jetzt zu ihrer Betrübniß fast
ausgeschlossen gesehen von jenem Felde der Heidenbekehrung, wozu nur Seefah-
rende Nationen unmittelbaren Zugang haben. Mögen sie sich troͤsien, indem sie
ihre Blicke auf jene Millionen des alten Volkes Gottes richten, die unter ihnen
oder in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft wohnen. Und keiner andern Nation
stehen so wirksame Hülfsmittel zu Gebote, um anjetzt das Werk der Bekehrung zu
beginnen., als dem evangelischen Deutschlande. Ihm scheint die herrlichste und
beiligste Ernte aufbewahn zu seyn, die je gottseliger Betriebsamkeit sich bergeboten
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