Die Neuwahlen zum preuß. Abgeordnetenhaus und deutschen Reichstag. Zivilehegesetz. 91
sluß der Weiber zur Bearbeitung des stimmjfähigen Mannsvolkes als wirkungsvollstes,
von Falk und Bismarck unangreifbares Agitationsmittel übrig. So durfte denn
nicht wundernehmen, daß bei den am 4. November 1873 in Preußen vollzogenen
Landtagswahlen das Zentrum reichlich 20 Abgeordnete mehr durchsetzte als drei Jahre
zuvor, freilich eine aussichtslose Minderheit gegenüber den 251 Liberalen (darunter
182 Nationatliberale), 40 Freikonservativen und 22 Neukonservativen, welche fast ein-
mütig gegen das Zeutrum mit der Regierung gingen. Von den dem Zentrum ver-
bundenen Kreuzzeitungsrittern wurden alle bis auf sechs ruhmlos in den Sand des
Wahlturniers gestochen. Mit ihnen und den 18 Polen und 2 Welfen ließ sich der
Kulturkampf schlechterdings nicht gewinnen.
Ahnliche Ergebnisse lieferten die Neichstagswahlen vom 10. Jannar 1874.
Auch hier wurden die Feudal-Konservativen fast vollständig hinweggefegt. Die Natio-
nalliberalen blieben die stärkste Partei und hatten schon mit der Fortschrittspartei zu-
sammen die absolute Mehrheit. Dazu traten auch hier, wie im preußischen Landtag,
in allen nationaten Fragen, also insbesondere im Kulturkampf, die Freikonservativen.
Gleichwohl hatten die Ultramontanen auch im neuen Reichstag 25 Sitze, gegen 1871
(92 statt 67), gewonnen, namentlich bayrische. Von Bayern her senkte sich eine
schwarze Wolke von 32 Zentrumsmännern über die Reichshauptstadt. Immerhin
zählte das Zentrum auch im Reichstag noch nicht ein Viertel, mit Polen und Sozial-
demokraten zusammen nicht ganz ein Drittel, der Versammlung.
Seit dem 9. November 1873 war Fürst Bismarck wieder an die Spitze des
preußischen Staatsministeriums getreten, Camphausen sein Stellvertreter geworden.
Roon hatte, krank und müde, von dem Dank und Segen des ganzen deutschen Votkes
für sein Lebenswerk geleitet, den Abschied gefordert und erhalten und sich auf sein Gut
zurückgezogen. Falk aber hatte inzwischen unablässig an neuem Rüstzeug für den
Kampf des Staates gegen die streitende Kirche gearbeitet.
Schon zu Ende 1873 wurde dem am 12. November eröffneten preußischen
Landtage ein Gesetzentwurf über die obligatorische Zivilehe und Personen-
standsregister vorgelegt und in zwei Lesungen durchberaten. Das Gesetz kam auch
im Februar 1874 in den Kammern zu stande und wurde am 9. März für Preußen ver-
kündet. Doch verweilen wir dabei hier nicht länger, weil das Reich sich im nämlichen
Jahrc noch desselben Gegenstandes bemächtigte und ihn bald darauf zum Abschluß
brachte. Bezeichnend für die maßlosen Angriffe der ultramontanen Partei gegen Bis-
marck waren bei Veratung dieses Gesetzes besonders die „Lügen“ von Mallinckrodts (so
bezeichnete Bismarck selbst dessen Behauptungen): daß Bismarck „jemals auch nur ein
deutsches Kleefeld“ den Franzosen zugesichert oder in Aussicht gestellt habe. Bismarck
legte auch gegenüber diesen Verleumdungen, welche Mallinckrodt wagte auf Grund der
höchst verdächtigen angeblichen Enthüllungen des italienischen Generals Lamarmora,
in glänzendster Weise dar, wie offen, redlich und deutsch seine Politik immer gewesen ist.
Dem am 12. Jannar 1874 nach den Weihnachtsferien wieder zusammentretenden
preußischen Landtag legte Falk zwei neue Gesetze vor. Das eine war eine „Deklaration
und Ergänzung des Gesetzes über die Vorbildung und Anstellung von