Full text: Gesetz-Sammlung für die Königlich Preußischen Staaten. 1835. (26)

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1. Die Schutzblaktern sind eine so milde, gelinde, sa in ber Regel ohne alle desondere Pflege 
und ärztliche Behandlung verlaufende Krankheit, daß die Impfung derselben ohne alle Gefahr in jedem 
Alter, bei jeder Jahreszelt, auch bei Schwächlichen, ja unker Umständen selbst bei nicht ganz gesunden 
Indi iduen geschehen darf. · 
2.Sietdbkmnichtalleinniemals,sondeknlassenauchkeintNachkkankheitenzurück. 
Z.Sieverbkeieensich,wennkeineabsichtllcheJmpfungmitihkerkymphegeschichhniemals 
durch Ansteckung weiter und gefaͤhrden uͤberhaupt Niemand. Trotz dem hat dieses Schutzmittel, wel- 
ches uͤberdies leicht und ohne Kosten zu erlangen ist, so daß sich auch der Aermste seiner wohlthuen · 
den Wirkung erfreuen kann, nicht blos in früherer, sondern selbst in neuerer Zeic, mancherlei Anfech- 
tungen erlitken, und bei weitem noch nicht überall einen unbedingten Eingang gefunden. Gar oft un- 
terließen es Eltern, unk zwar weniger aus einer, auch nicht zu entschuldigenden Unwissenheit, als viel- 
mehr aus unverzeihlichem beichtsinn und Sorglostgkeir, wo nicht gar hin und wieber aus bötartiger 
Hartnäckigkeit, V#tt Kinder vakzlniren zu lassen, setzten das Leben derselben und Anderer dadurch in 
die größte Gefahr und luden eine schwere Verantwortlichkeit auf sich. Außerdem aber sind es man- 
cherlei Vorurtheile gewesen, wodurch selbst gebildete, zärrliche und forgfältig auf das Wohl ihrer 
Kinder bedachte Eltern hier und da gegen die Schutzblatternimpfung eingenommen, ja sogar von ihr 
abgeschreckt worden sind. Die hauptsächlichsten dieser, setzt wohl nur noch höchst selten auch von 
Aerzteim genährten Vorurtheile sind folgende: 
1. „Die Menschenpocken gehören““ meint man, „wesentlich zur Natur des Menschen und 
sepen namenrlich ein Reinigungomittel, wodurch ungesunde Säste und andere Krankheitskeime aus dem 
Körper entferme würden, welcher Zweck bei der Impfung der Schutzblattern unerfüllt bleibe."“ — Ware 
der Mensch von seher und überall mit der entschiedenen Bestimmung, blatternkrank zu werden, geboren 
worden, und sähe man wirklich auf die Blatternkrankheit in der Regel einen Justand höberer Gesund- 
heit solgen, so häcte sene Behauptung allerdings Manches für sich. Allein da ein großer Zeitraum, 
in manchen Gegenden erweislich Jahrtausende vorübergegangen sind, ohne daß man dies vermeintliche 
Reinigungsmittel daselbst gekaunt hat, und die Blattern erst dann sich zeigten, nachdem das Ansteckungs- 
gist durch den Verkehr dahin verpflanze ward (C. 43.), ka also der Mensch nur die Empfänglichkeit 
für dieses Glft, iric für alles andere Schädliche, mit auf die Welt bringt, diese Empfänglichkeit aber, 
der Erfahrung zusolgc, keinesweges von selbst, unter allen Umständen und auch bei fehlender Gemein= 
schaft mit dem Ansteckungsstosse, die Entwickelung der Krankheit herbeiführt, da endlich letztere weit 
mehr eine Beeinträchtigung als eine Erhöhung des Gesundheitswohls zu Folge hat (§. 43.), so er- 
scheint sene Ansicht unhaltbar und verwerflich. 
. „Durch die Kuhpockenimpfung geschehe eine Vermischung khierischer Säfte mik mensch- 
lichen, die unmöglich heilsam seyn können.“ Als ob nicht einer Menge unvcränderter ehirrischt Stoffe 
als Nahrungs= oder Arzueimittel gleichfalls ein Eingang in unseren Kärper zu dessen Beslen ge- 
währt würde! 
3. „Die Schutzblattern brächten andere gefährliche Krankheiten hervor oder beförderten we- 
nigstens deren Frequenz““ Man hat in dieser oder jener Beziehung besonders oft die häutige Braune, 
hitzige Gehirnwassersucht, den Scharlach, die Masern, Skropheln, Englische Krankhele rc. genannt. — 
Eine gefährliche Krankheit aber oder auch nur eine Krankheit uberhaupt, die durch die Impfung mit- 
telbar oder unmittelbar, außer den Schutblattern selbst, noch hervorgebracht wurde, giebt es der Er- 
fahrung zufolge nicht. Wenn ferner von ciner oder der anderen der genannten Krankheiten in diesem 
Jahrhunderte hänßiger als sonst die Rede ist, so hat dies zum Theil seinen Grunk darin, daß mehrere 
derselben, wie z. B. bie häutige Bräune, die hitzige Gehirnwassersucht in neuerer Zeit gründlicher er- 
forscht worden sind, mithin häufiger erkaunt werden, als ehedem. Epidemien von Scharlach und 
Masern haben auch schen vor der Einführung der Schutzblarternimpfung ab und zu wie setzt grassirt 
und sind seitdem um nichts gefahrlicher geworden. Sollten aber während dergleichen Epidemien setzt 
wirklich mehr Kinder als sonst befallen werden, so fände auch dies seine vollgültige Erklärung darin: 
daß die Zahl der Kinder überhaupt, mirhin der diesen Krankheiten gerade am meisten exponirten In- 
dividuen, seit der Zeit, daß nicht so vicele Tausende von den Blaktern hingerafft werden, gestiegen ist. 
Daß aber die Menge der mit Skropheln, Englischer Krankheit und anderem Stechthum behafteten 
Kinder sich seit Einführung der Vakzination verhältnißmäßig auch nicht vermehrt habe, davon llefert 
schon der Umstand einen augenscheinlichen Belag, daß jetzt bei weltem nicht so viele, burch Knochen-, 
Gelenk= und andere schwere belden, Hautausschläge und dergleichen entstellte und verkrüppelte Kinder 
umherwanteln, als sonst. Wie sich vlelmehr im Allgemeinen wohl annehwen läse, daß der Gesund- 
beitsjustand seit Einführung der Schutzblatkern sich verbessert 6 die dußere Kärperbildung verschs- 
nert
	        
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