fullscreen: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
68 Innere Pollitik. I. Buch. 
  
die die Regierung vertrat, um der Allgemeinheit die Freude am Staat zu erhalten. 
Wie alle Parteien ist ja auch die konservative durch die Verschärfung der wirtschaftlichen 
Gegensätze in gewissem Sinne eine Interessenvertretung geworden. Ich will nicht 
untersuchen, ob sie es mehr geworden ist, als ihr selbst zuträglich ist. Aber daß sie es mehr 
ist als für den Gang der Regierungsgeschäfte gut ist, wird wohl niemand bestreiten, der 
während der letzten Jahrzehnte auf der Ministerbank gesessen hat. Ich mußte mich in 
dem Maße von der konservativen Partei entfernen, in dem sie als Interessenvertretung 
auftrat, und ich die von ihr verfochtenen Interessen mit denen der Allgemeinheit nicht 
mehr vereinbar fand. Bei den Kämpfen um den Zolltarif deckte sich das allgemeine 
Interesse mit dem von der konservativen Partei vertretenen, bei der Reichsfinanzreform 
schließlich nicht. Die spätere Entwicklung hat es in beiden Fällen bewiesen. Von den 
grundsätzlichen Anschauungen des Konservativismus über die gesellschaftliche, wirtschaft- 
liche und vor allem die staatliche Ordnung hat mich nie etwas getrennt und trennt mich 
auch heute nichts. 
Das konservative Element in der Was das konservative Element für unser 
preußisch-deutschen Geschichte. preußisch-deutsches Staatsleben ist und ge- 
wesen ist, darf niemals verkannt werden. 
Es wäre ein schwerer nationaler Verlust, wenn die konservativen Gedanken aufhörten im 
deutschen Volke lebendig und wirksam zu sein, wenn die konservative Partei aufhörte, im 
parlamentarischen und politischen Leben die ihrer Vergangenheit würdige Stellung 
einzunehmen. Die Kräfte, die in der konservativen Partei leben, sind die Kräfte, die 
Preußen und Deutschland groß gemacht haben, die sich unser Vaterland erhalten muh, 
um groß zu bleiben und größer zu werden und die niemals unmodern werden können. 
Oie Ideale des besten Konservativismus, die von Unterwürfigkeit freie Mannestreue 
gegen König und Herrscherhaus und das zähe bodenständige Heimatgefühl müssen uns 
Deutschen unverloren bleiben. Wenn heute die Gegner der konservativen Partei es nicht 
bewenden lassen bei dem im Parteigegensatz begründeten Kampf gegen die konservative 
Politik, sondern einen im politischen Leben immer unerfreulichen Klassenhaß gegen 
biejenigen Volksklassen hervorkehren, die vornehmlich in der konservativen Partei ver- 
treten sind, so sollte doch nicht vergessen werden, was gerade diese Volksschichten für 
Preußen und Deutschland geleistet haben. Die Zunker und Bauern Ostelbiens sind es 
in erster Linie gewesen, die unter den Hohenzollernfürsten die Größe Brandenburg- 
Preußens erfochten haben. Der preußische Königsthron ist geleimt mit dem Blute des 
preußischen Adels. Was dem großen König seine Zunker gewesen sind, das hat er mehr 
als einmal betont. Das Lob, auf das der preußische Adel begründeten und voll berech- 
tigten Anspruch hat, soll keine Schmälerung der Leistungen und Verdienste anderer 
Stände bedeuten. Ohne die aufopfernde Treue des Bürgertums, der Bauern und des 
einfachen Mannes hätte der Adel wenig vermocht. Es ist auch richtig, daß der Adel sich 
in früheren Zeiten besonders hat auszeichnen können, weil ihm die Zeitverhältnisse be- 
sondere Gelegenheit dazu boten. Aber an die verantwortungsvollen und die gefährlichen 
Posten im Dienste des preußischen Staates gestellt, hat er Allergrößtes geleistet, mehr 
  
  
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