Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

Dritte Berathung. Generaldebatte. Liebknecht. 339 
lassen; ich glaube, diese Kritik ist in der ausgiebigsten Weise von den Red- 
nem, die mir vorhergegangen sind, von dieser Rednertribüne aus gegeben 
worden. So viel ich weiß, hat nicht ein Einziger die Verfassungsentwürfe 
gelobt, alle haben sie getadelt, und tretzdem werden wir wahrscheinlich das 
eigenthümliche Schauspiel erleben, das Werk mit fast vollständiger Einstim- 
migkeit von diesem Reichstage angenommen zu sehen. Es bringt mich dies 
zu einem anderen Punkte. Warum debattiren wir überhaupt dieses Werk? 
Ich wurde vor einem halben Jahre ungefähr, in der ersten Session dieses 
Jahres zur Ordnung gerufen, als ich sagte, daß hier nur Komäödie gespielt 
werde. Nun, meine Herren, wir Alle wissen, Jeder von Ihnen eben so gut 
wie ich, daß die Debatten hier auf das Werk selbst absolut keinen Einfluß 
ausüben. Dieses Werk ist in dem Heerlager von Versailles gemacht und ist 
Ihren einfach vorgelegt mit der stillschweigenden Weisung: entweder ange- 
nommen ganz, so wie es ist, oder abgelehnt! Sie Alle wissen aber, Sie so 
zut wie ich, daß, wenn das Werk auch von Ihnen abgelehnt wird, es damit 
dech nicht umgestoßen ist. (Oh! Ohl) Dies Werk ist das Produkt der 
walen Verhältnisse; es ist aus den Machtrerhältnissen hervorgegangen; die 
Macht liegt aber in Versailles, nicht hier; das Resultat wird dasselbe sein, 
eb Sie Ja oder Nein sagen, und Sie werden Ja sagen, um nicht durch das 
Nein Ihre Machtlosigkeit völlig zu enthüllen. (Sehr gut! auf der äußersten 
Linken.) Nun, meine Herren, daß Sie selbst das Gefühl haben, daß die 
Debatten hier auf das Schicksal dieser Verfassung keinen Einfluß ausüben, 
daß Sie selbst in sehr nüchterner Weise an dies Werk herangehen, das wird 
nicht allein durch die Reden, welche bisher gehalten worden sind, bewiesen, 
das wurde auch noch in der möglichst eklatanten Art und Weise bewiesen 
durch die Aufnahme des kleinen „Theatercoups“", der am Montag allerdings 
in wunderbar ungeschickter Weise hier in Scene gesetzt worden ist, um die 
Krnung des Gebäudes zu illustriren. Nun, meine Herren, Sie werden 
nicht läugnen können: der Beifall war ein sehr vereinzelter, das Gelächter 
dagegen ein sehr lautes und allgemeines. Daß „Heiterkeit“ diese Ankündi- 
zung begrüßt hat, ist eine historische Thatsache, und in diese Heiterkeit hat 
sich unzweifelhaft das bekannte Augurengelächter gemischt. — Wir haben be- 
Frifen, daß hier in der That bloß eine Komödie gespielt wurde. (Glocke 
des Präsidenten.) 
Präsident Dr. Simson: Der Herr Redner will dasselbe von meiner 
Seite wieder erfahren, was er im Sommer schon erfahren hat; meine 
Bine scheint bei ihm keinen Anklang gefunden zu haben. 
Lichkuecht (fortf.): Der Ausdruck, den ich gebraucht habe, ist auch 
ron manchen Mitgliedern der nationalliberalen Partei gebraucht worden, 
— nicht öffentlich freilich, im Privatgespräch. 
Träsident: Das macht eben den Unterschied! 
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