Object: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

& 13. Die Existenz der Einzelstaaten. 129 
wirklich als Staaten bezeichnet werden zu können. Diese Deduktion 
hat zunächst mit unserer Frage nichts zu tun; denn der Begriff des 
Bundesstaates würde bestehen bleiben, wenn auch das eine oder andere 
der Mitglieder verschwinden sollte. Man muß zugeben, daß das Deut- 
sche Reich als Bundesstaat nicht gedacht werden kann ohne autonome 
Staaten; aber es läßt sich gewiß nicht behaupten, daß das Deutsche 
Reich aufhören würde ein Bundesstaat zu sein, wenn es statt aus 25 
Staaten aus 24 oder aus 18 bestände. Aus dieser Erwägung folgt daher 
niemals eine reichsverfassungsmäßige Garantie der tatsächlich vorhan- 
denen einzelnen Staaten. Ferner hat aber die Reichsverfassung nirgends 
eine Grenze gezogen, wo die Kompetenzerweiterung des Reiches Halt 
machen müsse. Die Möglichkeit, daß im Laufe der Zeit die einzelnen 
Staaten so fest miteinander verwachsen, daß die ihnen bleibende Auto- 
nomie bis zur Inhaltslosigkeit zusammenschrumpft, ist durch den Art. 
78 allerdings gegeben. Die Kompetenzausdehnung des Reiches hat keine 
begriffliche Schranke, sondern nur eine faktische Erschwerung durch 
die im Art. 78 für Verfassungsänderungen erforderte Majorität erhalten. 
Es ist freilich wahr, daß, wenn das Reich seine Kompetenz immer 
weiter und weiter ausdehnt, es schließlich aufhören würde, ein Bun- 
desstaat zu sein; aber es ist in der Verfassung ja nirgends ausgespro- 
chen, daß das Reich für alle Zeit ein Bundesstaat sein und bleiben 
müsse. Die Verfassung gestattet ebensowohl die Fortentwicklung in 
dezentralisierender, föderalistischer Richtung als die Konsolidierung 
zum Einheitsstaat')). 
Aus dem Wesen des Bundesstaates ergibt sich jedoch in einer an- 
deren Richtung eine Garantie der Existenz der Bundesstaaten und zwar 
aus der prinzipiellen Gleichberechtigung aller Mitglieder?.. Nach den 
oben S. 116 fg. entwickelten Grundsätzen muß es als unzulässig er- 
achtet werden, daß einzelnen Staaten ohne ihre Zustimmung durch 
Reichsgesetz Hoheitsrechte entzogen werden, welche den übrigen Staa- 
ten verbleiben. Daraus folgt, daß um so weniger einzelne Staaten ohne 
ihre Zustimmung ganz aufgehoben, etwa mit anderen vereinigt oder 
zu Reichsland erklärt werden können?) Wenn die Frage daher etwa 
so gestellt wird, ob die Existenz des zum Bunde gehörenden Staates 
X. durch die Reichsverfassung gewährleistet wird, so ist dies in dem 
Sinne zu bejahen, daß dieser Staat als einzelner vor der Unter- 
— 
1) Anderer Ansicht v. Mohl S.46 und Meyer 8164. Vgl. jedoch die richtigen 
Bemerkungen von Jellinek, Staatenverbindungen S. 304 fg. Ueber die Fortbildung 
des Reichs in unitarischer Richtung vgl. meine Abhandl. im Jahrb. des öffentl. Rechts 
1907, S. 1 £f. 
2) Vgl. Laband in Hirths Annalen 1874, S. 1515. 
3) G. Meyer $ 164, Note 10 hat daher Unrecht, wenn er sagt, daß derjenige, 
der das Vorhandensein vertragsmäßiger Grundlagen leugnet, konsequenterweise der 
Reichsgewalt das Recht zusprechen müßte, die Existenz der einzelnen Staaten selbst 
gegen deren Willen — durch Abänderungen des Art. 1 — aufzuheben. Daselbst eine 
Uebersicht der in der Literatur vertretenen Meinungen.
	        
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