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Zeit zu Kriegsunternehmungen untuͤchtig seyn duͤrfte, dies
konnte ihm wohl kaum verborgen seyn. Doch lebte er
der festen Ueberzeugung, daß auch das russische Heer in
keinem besseren Zustande sey. Ohne alle Nachricht von
dem, was an den Ufern der Duͤna vorgegangen war,
ohne Kunde, daß Marschall St. Cyr damals schon
Polozk verlassen habe, gegen Ula gezogen sey, und zu
seiner Unterstuͤtzung den Marschall Victor von Smo-
lensk zu Hülfe gerufen habe, zählte der Kaiser im
Gegentheil auf St. Cyr's unerschütterliche Stellung
bei Polozk, so wie auf die Kraft des noch 25,000 Mann
starken Heerhaufens unter Marschall Victor. Diesen
dachte er zu Smolensk zu seiner Aufnahme bereit, und
damit im Stande zu seyn, seinem Heere Wintergelager
zwischen Dnieper, Düna, Bereczina anzuweisen. Auch
Smolensk hoffte er behaupten und den Unterhalt seines
Heeres aus den Magazinen von Miusk und Wilna
sichern zu können.
Als Napoleon aber für seine Person in Smolensk
ankam (0. November), ward er sehr betroffen, weder die
Schaaren Victors, noch vorbereitete Aufnahme zu fin-
den, wohl aber Nachrichten über die Vorfälle an der Düna,
und den Verlust von Witepök zu hören. Nun war nicht
mehr an Winterquartiere zu denken, sondern an Fortse-
tzung des schrecklichen Rückzuges. Das franzdsische Haupt-
heer erreichte ohne weitere Gesechte Smolensk (Lom 0. bis
11. November). Aber die Verpflegung aus ehemals hier
angehäuften bedeutenden Magazinen fehlte. Die unor-
dentlichste Verwaltung hatte statt gefunden. Kaum er-
hielt man noch den nothigen Bedarf an Pulver und Blei.
Der Nachtrab des Heeres unter Marschall Ney
mußte bis Smolensk beinahe fortwährend blutige Ge-