die Streitigkeit als „erledigt“ angesehen werden. Diese
Pflicht, sich dem Spruche zu unterwerfen, ist. natürlich eine
der verfassungsmäßigen Pflichten der Einzelstaaten. Im
Falle einer Weigerung kann der Bundesrat auf jegliche
Weise seine getroffene Entscheidung zur Vollstreckung
bringen, wobei ihm als letztes Zwangsmittel die Bundes-
exekution auf Grund des Art. 19 RV. zusteht, die vom
Bundesrat zu beschließen und vom Kaiser zu vollstrecken
ist. (Daher ist auch eine Exekution gegen Preußen un-
denkbar, da der Kaiser als König von Preußen nicht gegen
sich selbst vorgehen kann!)
$ 12.
Während nun nach Art. {6I der Bundesrat zur Er-
ledigung zwischenstaatlicher Streitigkeiten berufen ist, be-
schäftigen uns nach Absatz II innerstaatliche Differenzen.
Abs. II lautet: „Verfassungsstreitigkeiten in solchen Bundes-
staaten, in deren Verfassung nicht eine Behörde zur Ent
scheidung solcher Streitigkeiten bestimmt ist, hat auf An-
rufen eines Teils der Bundesrat gütlich auszugleichen oder,
wenn das nicht gelingt, im Wege der Reichsgesetzgebung
zur Erledigung zu bringen.“
Als erstes materielles Erfordernis muß also eine Ver-
fassungsstreitigkeit vorhanden sein. Der Begriff „Streitig-
keit“ stimmt mit dem des Absatz I überein. Unter .„Ver-
fassung“ können wir jedoch sehr verschiedenes verstehen,
je nachdem wir diesen Begriff enger oder weiter fassen. In
seiner weiteren Bedeutung verstehen wir unter „Verfassung“
ganz allgemein den rechtlichen Zustand, in dem ein Staat
sich befindet, also ungefähr identisch mit Struktur, Organi-
sation eines Staates. Dann aber heißt „Verfassung“ — und
das ist der übliche Sprachgebrauch — die Kodifikation der
Verfassungsnormen des Staates, das Staatsgrundgesetz.
Welcher dieser beiden Begriffe in Absatz II angewandt
werden soll, können wir erfahren, wenn wir auf Art. 1 des
Diss. Günther, 3