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Der in Art. 76 I festgelegte Begriff der „Erledigung“
findet nun in Abs. 2 eine weitere Winschränkung dahin-
gehend, daß der Bundesrat die Verfassungsstreitigkeit zu er-
ledigen hat im Wege der Reichsgesetzgebung. Während }
Streitigkeiten zwischen verschiedenen Bundesstaaten der
Bundesrat als alleiniger Richter kompetent. war, sollen bei
einer Verfassungstreitigkeit die Organe der Reichsgesetz-
gebung vereint eine Entscheidung treffen; und das ist nur
gerecht, wenn wir uns noch einmal das Wesen einer Ver-
fassungsstreitigkeit klar machen! Ein Verfassungsstreit ist
ein Streit zwischen Volksvertretung und Regierung. Würde
nun der Bundesrat allein zu einer solchen Entscheidung be-
fugt sein, so würde die Gefahr bestehen, daß er, das Organ
der verbündeten Regierungen, politischen Erwägungen
folgend, sich von vornherein auf die Seite der Regierung
stellen und so die Gegenpartei benachteiligen würde. Um
nun jeglichem Verdacht einer derartigen Parteilichkeit vor-
zubeugen und ein möglichst unparteiisches Urteil zu er-
reichen, war es nötig, eine Bestimmung des Inhalts in die
Reichsverfassung aufzunehmen, daß der Bundesrat bei Ver-
fassungsstreitigkeiten nur mit dem Reichstage vereint eine
Entscheidung treffen könne.
Die Erledigung erfolgt demgemäß ‚durch den Bundes-
rat im Wege der Reichsgesetzgebung“. Herbei ist eine Aus-
nahme von der Regel festzustellen. Das Recht der Initiative,
das sonst grundsätzlich der Reichstag auszuüben berechtigt
ist, steht im Falle des Art. 76 II ausschließlich dem Bundes-
rate zu. Eine derartige Erledigung im Wege der Reichs-
gesetzgebung ist aber, genau genommen, eine höchst eigen-
tümliche Einrichtung. Man denke sich 25 Regierungen,
wozu noch 397 Volksvertreter kommen, (die alle das Recht
haben, ihre Meinung über den Streitfall zu äußern!! Daß
auch unter Umständen eine Erledigung deshalb nicht zu-
stande kommen könnte, weil Bundesrat und Reichstag siclı