2. Stellt sich das festgestellte Verhalten des Bundes-
staats als eine Verletzung ‘der verfassungsmäßigen Pflich-
ten dar?
Unter „verfassungsmäßigen Bundespflichten“ kann man
nun verschiedenes verstehen. Entweder man engt den Be-
griff ein und versteht hierunter nur und ausschließlich die
Pflichten, die die Verfassung ‘des Reiches ausdrücklich den
Bundesstaaten auferlegt, oder aber man erklärt mit
Hänel’) „verfassungsmäßige Bundespflichten“ als iden-
tisch mit „verfassungsmäßigem Gehorsam“. Mir will diese
letztere Auslegung als die richtige erscheinen. Denn es ist
nicht einzusehen, warum ein Bundesstaat, dessen Pflichten
dem Reiche gegenüber im Wege der Verfassungsänderung
über das bestehende Verfassungsrecht hinaus erweitert
werden sollen, diesen neuen Pflichten sich nicht zu unter-
ziehen hätte, weil sie eben nicht ausdrücklich in der be-
stehenden Verfassung erwähnt sind. Indirekt beruhen doch
auch diese neu auferlegten Pflichten und ihre Rechtsbegrün-
dung auf den Bestimmungen der Reichsverfassung, so daß
sehr wohl berechtigt ist, statt „verfassungsmäßige Bundes-
pflichten“ den weitergehenden Begriff „verfassungsmäßigen
Gehorsam“ zu setzen!!
Auf den verschiedensten Gebieten staatlicher Tätigkeit,
in Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung kann ein
Bundesstaat seine verfassungsmäßigen Bundespflichten nicht
erfüllen; und zwar ganz einerlei, sowohl durch positive Hand-
lungen wie auch durch Unterlassungen. Die Bundespflichten
der Bundesstaaten begreifen die Befolgung der Reichsver-
fassung, der Reichsgesetze, der Verordnungen und Be
schlüsse der Reichsorgane in sich, sind also Harauf gerichtet,
die Stellung des Reiches zu erhalten und zu befestigen.
Ferner haben die Einzelstaaten die Pflicht. alles das zu
unterlassen. was den Bestand und die Sicherheit des Reiches
3) HänelS. 446.