Die einzelnen aufhebbaren Artikel. 111
praktisch bedeutungslos; denn die Aufhebung des Artikel 6 recht-
fertige alle Maßnahmen, die geeignet seien, Briefe und andere
Schriftstücke in den Besitz und zur Kenntnis der Behörden zu
bringen, und zwar sowohl in der Wohnung der Beteiligten,
als auch auf dem Postamt, ohne daß die Postbehörde, die ja
den Anordnungen des Militärbefehlshabers Folge zu leisten
habe, dem widersprechen könnte. Er geht allerdings noch weiter
und hält die Einführung einer Briefzensur auch für den Fall
einer Nichtaushebung des Artikel 6 auf dem Wege des 3 9b
für zulässig. Diese Ansicht ist auch in der Reichstagssitzung vom
18. Mai 1916 von einem Regierungsvertreter geteilt worden.
Auch er ist der Ansicht, daß zu den aufhebbaren Garantien der
persönlichen Freiheit das Recht auf das Briefgeheimnis zu rechnen
sei, wobei er allerdings (nach dem Bericht in der Breslauer
Morgenzeitung vom 19. 5. 1916 Nr. 136) fälschlicherweise das
Reichsgericht für seine Ansicht in Anspruch genommen hat.
Das Reichsgericht hat sich, soweit ich sehen kann, zu dieser Frage
grundsätzlich noch nicht geäußert. Dagegen halten Galli (Leipz. Z.
1915 S. 1198 ff.) und Kitzinger (Zeitschr. f. d. ges. Strafr. Bd. 36
S. 777ff.) die Briefzensur für alle Fälle für unzulässig. Galli
weist darauf hin, daß der Absatz 2 des Artikel 33 Beschränkungen
der Unverletzlichkeit des Briefgeheimnisses in Kriegszeiten nur
durch Gesetzgebung festsetzen läßt, also der vollziehenden Gewalt
solche Beschränkungen auch in Kriegszeiten entzieht, und führt
weiter aus, daß auch durch die Aufhebung des Artikel 6 die Zu-
lässigkeit einer Ausnahme nicht begründet sei: denn auch in diesem
Falle sei der Militärbefehlshaber zwar zur schrankenlosen Be-
schlagnahme von Briefen sowohl in der Wohnung, als auch auf
der Postanstalt berechtigt; die Beschlagnahme umfasse aber nicht
das Recht zur Offnung und Durchsicht; über diese könne, wenn
der Berechtigte nicht einwillige, gemäß § 100, 110 St. P.O.
nur der Richter entscheiden bzw. bei Militärpersonen der Gerichts-
herr bzw. Untersuchungsführer. Kitzinger dagegen leitet seine
Ansicht aus der scharfen Unterscheidung her, die die Pr. Verf. Urk.
zwischen dem Schutz des Briefgeheimnisses und dem in Artikel 6