Metadata: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

130 II. Reichsgesetzgebung. Art. 4. 
erwiderte, daß das von dem Ministerpräsidenten angeregte Projekt sich nicht 
verwirklichen ließe. Es folgt dann eine Denkschrift des Fürsten Bismarck 
v. 24. August 1865 (v. Poschinger Aktenstücke Bd. 2 S. 65 vgl. auch Rofin 
Grundzüge S. 13), in welcher die Arbeiterfürsorge dargestellt wird als eine 
„Aufgabe staatserhaltender Politik, die das Ziel zu verfolgen hat, 
auch in den besitzlosen Klassen der Bevölkerung, welche zugleich die zahl- 
reichsten und am wenigsten unterrichteten sind, die Anschauung zu pflegen, 
daß der Staat nicht bloß eine notwendige, sondern auch eine wohltätige 
Einrichtung sei, und sie durch erkennbare direkte Vorteile, welche ihnen 
durch gesetzgeberische Maßregeln zu teil werden, dahin zu führen, den 
Staat nicht als eine lediglich zum Schutze der besser situierten Klassen 
der Gesellschaft erfundene, sondern als eine auch ihren Bedürfnissen und 
Interessen dienende Institution aufzufassen“. 
Fürst Bismarck ist später in zwei an den damaligen Handelsminister 
Graf Itzenplitz gerichteten Schreiben v. 21. Okt. und 17. Nov. 1871 
(v. Poschinger a. a. O. Bd. 1 S. 160, 164) auf seinen Plan einer sozial- 
politischen Aktion der Staatsgewalt zurückgekommen, ohne diesen Plan damals 
näher zu spezialifieren, doch sprach Fürst Bismarck insbesondere in dem 
letzten Schreiben den nachstehenden Satz aus, der die sozialpolitische Auf- 
fasfung und das sozialpolitische Programm der Regierung auch für die 
Folgezeit richtig charakterisiert hat; auf den Einwand des Handelsministers, 
daß in jeder Erörterung der von der sozialistischen Partei gestellten Forde- 
rungen schon eine Anerkennung oder wenigstens ein gewisser Vorschub der 
— damals in Deutschland noch jungen — sozialistischen Bewegung 
gefunden werden könne, erwiderte Fürst Bismarck u. a.: 
„Eine Einmischung der bestehenden Staaten in die sozialistische Bewegung 
ist deshalb so wenig gleichbedeutend mit dem Siege der sozialistischen 
Doktrin, daß mir vielmehr die Aktion der gegenwärtig herrschenden Staats- 
gewalt als das einzige Mittel erscheint, der sozialistischen Bewegung in 
ihrer gegenwärtigen Verirrung Halt zu gebieten und dieselbe insbesondere 
dadurch in heilsamere Wege zu leiten, daß man realisiert, was in den 
sozialistischen Forderungen als berechtigt erscheint, und in dem Rahmen der 
gegenwärtigen Staats- und Gesellschaftsordnung verwirklicht werden kann“. 
In der Folgezeit tritt neben diesem Gesichtspunkt, daß die Sozialpolitik 
geeignet sei, beruhigend zu wirken mehr der Gedanke hervor, daß es zu den 
dem Staate immanenten ethischen Pflichten gehört, im wirtschaftlichen Kampf 
Partei für die Schwachen zu ergreifen. Dies ist besonders zum Ausdruck 
gekommen in der allgemeinen Begründung des ersten Entwurfs eines Unfall- 
versicherungsgesetzes von 1881 (Anl. der 4. Leg.-Per. 4. Sess. Nr. 41): 
„Neben der defensiven auf den Schutz bestehender Rechte abzielenden, 
liegt nach moderner Staatsidee dem Staate auch die Aufgabe ob, durch 
zweckmäßige Einrichtungen und durch Verwendung der zu seiner Ver- 
fügung stehenden Mittel der Gesamtheit das Wohlergehen aller seiner 
Mitglieder und namentlich der schwachen und hülfsbedürftigen pofitiv 
zu fördern.“ 
Beide Motive, das der politischen Zweckmäßigkeit und das der ethischen 
Pflicht des Staates, find geltend gemacht in der Kaiserlichen Botschaft v. 
17. Nov. 1881, welche die Grundlage der Arbeiterversicherungsgesetzgebung 
bildet; folgende Sätze find hervorzuheben:
	        
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