Full text: Gesetz- und Verordnungs-Blatt für das Königreich Bayern. 1883. (10)

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Entscheidung unabhängig ist, so besteht das gleiche Verhältniß für die Gerichte in Bezug 
auf das ihnen zugewiesene Strafverfahren. 
Es mag unerwünscht sein, daß etwa in einem einzelnen Falle die Thatgeschichte oder 
die nämliche Gesetzesbestimmung bei der Steuererhebung und im gerichtlichen Srafverfahren 
eine verschiedene Auffassung findet. Immerhin hat die Reichsgesetzgebung die Unabhängig- 
keit des strafrichterlichen Urtheiles für wichtiger erachtet, als die Vermeidung 
der Möglichkeit, daß in einzelnen Fällen die auf verschiedenen Gebieten und zu verschiedenen 
Zwecken thätigen Organe des Staates bei Beurtheilung der thatsächlichen Verhältnisse oder 
bei Anwendung einer Gesetzesbestimmung eine abweichende Auffassung zu erkennen geben. 
Denn die Strafprozeß-Ordnung stellt zunächst im §. 260 den gemäß §. 373 auch 
für den Berufungsrichter bindenden allgemeinen Grundsatz auf, daß das Gericht über das 
Ergebniß der Beweisaufnahme nach seiner freien, aus dem Inbegriffe der Verhand- 
lung geschöpften Ueberzeugung zu entscheiden hat, woraus folgt, daß der Richter eine 
Thatsache nicht deßhalb für wahr erachten darf, weil eine andere Behörde sie als gewiß 
betrachtet, soferne er nicht selbst durch die strafgerichtliche Verhandlung von ihrer Wahrheit 
sich überzeugt hat. 
Sodann wird weiter im §. 261 bestimmt, daß das Strafgericht auch über ein bürger- 
liches Rechtsverhältniß, von welchem die Strafbarkeit einer Handlung abhängt, 
nach den für das Verfahreu und den Beweis in Strafsachen geltenden Vorschriften 
entscheidet, wobei es dem Ermessen des Strafrichters anheimgestellt wird, ob er vor der 
Aburtheilung eines Straffalles eine auf ein bürgerliches Rechtsverhältuiß Bezug habende 
Entscheidung des Civilgerichts abwarten will oder nicht. 
Aus dieser Vorschrift zieht die bei dem gegenwärtigen Kompetenzstreite betheiligte 
Verwaltung den Schluß, daß dem Strafrichter, weil das Gesetz eine ausdrückliche Anord- 
nung für nothwendig erachtete, um ihn zu ermächtigen, in dazu geeigneten Fällen civil- 
rechtliche Fragen in den Kreis seiner Beurtheilung zu ziehen, um so gewisser das Recht 
abgesprochen werden müsse, sich in verwaltungsrechtliche und naturgemäß dem gericht- 
lichen Geschäftsbereiche entzogene Verhältuisse einzumischen. 
Diese Schlußfolgerung besteht aber die Probe ihrer Richtigkeit nicht. 
Denn eine Voraussetzung, von welcher die Strafbarkeit einer Handlung oder
	        
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