Full text: Gesetz- und Verordnungs-Blatt für das Königreich Bayern. 1883. (10)

Beil. IV. 45 
nur mit dieser Bedeutung auffassen, so wäre dem Strafrichter von vorneherein der objektive 
Theil des Thatbestandes, über dessen subjektive Seite er urtheilen soll, aus der Hand ge- 
nommen, obschon Steuerstrafsachen vor die ordentlichen Gerichte gehören, bei diesen für deren 
Behandlung die allgemeinen Vorschriften des Reichsstrafprozesses maßgebend sind und mit 
dessen Grundsätzen ein Verfahren, dem zufolge der Strafrichter blos über die subjektiven 
Beziehungen eines nicht von ihm festgestellten objektiven Thatbestandes zu urtheilen hatte, 
ganz und gar unverträglich wäre. 
Das Gewicht, welches die Verwaltung den früheren Urtheilen des Kompetenz-Kon- 
flikts-Senates vom 14. September 1868 und 4. Mai 1869 — 
Regbl. vom J. 1868 S. 2078 und vom J. 1869 S. 922 — 
beilegen zu können glaubt, ist jedenfalls mit der Aufhebung der jenen Entscheidungen zu 
Grunde liegenden Stempelgesetze vom 18. Dezember 1812 und 11. September 1825 so- 
wie in Folge der durch die Reichsgesetzgebung wesentlich veränderten Sachlage vollständig 
verloren gegangen. 
Ebensowenig kann die Bezugnahme auf ein im Bande 9 der Sammlung von Ent- 
scheidungen Seite 332 ff. mitgetheiltes Urtheil des k. obersten Landesgerichtes für die 
Entscheidung der hier streitigen Zuständigkeit von Erfolg sein, da es sich in der daselbst 
beurtheilten Rechtssache um einen Streit über Gebühren und nicht um einen Straffall 
gehandelt hat. 
Demgemäß mußte insoweit, als in dem anhängigen gerichtlichen Strafverfahren die 
gesetzliche Erbschaftssteuerpflicht eine Vorbedingung für die Strafbarkeit der Steuerhinter- 
ziehung bildet, die Zuständigkeit der Gerichte zur Beurtheilung dieser gesetzlichen Voraus- 
setzung einer Bestrafung als begründet erkannt werden. 
Also geurtheilt und verkündet in öffentlicher Sitzung des Gerichtshofes für Kompetenz- 
Konflikte vom 12. Juli 1883, wobei zugegen waren: Präsident Dr. v. Neumayr, die 
Räthe v. Freytag, Dr. v. Langlois, Seiffert, Dr. Medicus, Bauer, Reindl, 
Oberstaatsanwalt v. Küffner, Sekretär Frauendorfer, als Gerichtsschreiber. 
Unterschrieben sind: 
Dr. von Reumayr. 
Frauendorfer, k. Sktr. 
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