Der erste große Kreuzzug. 159#
bigen zu entreißen. Das war aber keine leichte Arbeit, denn im Ganzen
fanden sich noch ungefähr 40,000 kampffähige Kreuzfahrer, und wenig-
stens ebenso viele Türken vertheidigten die Mauern, daher ein Sturm
mißlang und eine förmliche Belagerung sich als nothwendig erwies. Das
Holz zu den Belagerungsarbeiten mußte stundenweit herbeigeschafft wer-
den; es mangelte an Wasser, und die schmachtenden Krieger gruben
Löcher in den Boden und legten die ausgegrabenen Schollen auf die
brennende Brust.
Am 15. Juli 1099 unternahmen sie den allgemeinen Sturm; aus
den Blpden (Wurfmaschinen)) flogen centnerschwere Steine auf die
Mauern; an die Mauern wurden auf Walzen zwei hohe hölzerne
Thürme geschoben, aus denen die einen auf die Türken schoßen und
warfen, während andere es versuchten, Fallbrücken niederzulassen, um so
auf den Mauerkranz zu springen. Aber alle Anstrengungen schienen ver-
gebens; der Sturm wurde blutig abgewiesen; schon ermattete das Heer,
als auf der Höhe des Oelberges ein gewappneter Ritter erschien, strah-
lend im Sonnenglanze, mit der einen Hand gegen Jerusalem winkend.
Das ist einer von den himmlischen Heerschaaren! scholl es durch die
Reihen der Christen, und sie setzten (nachmittags 3 Uhr) mit unwider-
steblicher Kraft von neuem an. Von dem Streitthurme des Herzogs
Gottfried sprang ein Krieger auf die Mauer, der Herzog selbst als
der zweite; ihre Schwerter hieben Bahn und bald war die Mauer an
verschiedenen Stellen erstiegen. Die Türken slohen in die Stadt, die
Kreuzfahrer stürmten ihnen nach, und was Leben hatte, vertilgte ihr
Schwert; viele tausend Menschen, bewaffnete Männer, wehrlose Weiber
und Kinder, hatten sich in die große Moschee geflüchtet, die auf dem
Tempelplatze stand. Aber gerade der Anblick der Moschee, die zum Hohne
der Christenheit auf dem heiligen Berge erbaut schien, reizte die Wuth
der Stürmenden dermaßen, daß sie alles niederhieben, so daß das Blut
über die Tempeltreppen herunterrieselte und der Blutdampf die Krieger
betäubte. Diese grausame Härte gegen die Bevölkerung einer mit Sturm
eroberten Stadt steht nicht vereinzelt da, sondern Mohammedaner und
Christen wütheten auch später in solcher Weise oft gegen einander. Es
ist traurig, daß das menschliche Geschlecht sich so grimmig verfolgt; wer
aber die Kreuzfahrer besonders „wegen ihrer frommen Wuth“ mit huma-
nem Hasse verfolgt, der lasse sich die Erstürmung Pragas 1794, die
Eroberung Nidwaldens 1798, die Katastrophe von Chios 1822, die
Erstürmung von Saadschah 1845 erzählen, und bedenke endlich, wie die
Nordamerikaner ihre Kriege gegen die Rothhäute führen — dann hat
er aus neuester Zeit einen Maßstab für die Beurtheilung der alten.
Nachdem das Morden vorbei war, legten die Pilger ihre blutigen
Kleider ab und beteten barfuß in Prozession an den heiligen Stätten.