Artikel 5. Gesetz und Gewohnheitsrecht. 141
mäßigen Verwaltung. Daß jene Grenzen weit, durch allgemeine Worte
und Wendungen, gezogen sind, ist kein Beweis dafür, daß eine solche Aus-
nahme hier vorliege. Denn der Grundsatz, daß jeder administrative
Eingriff in die Freiheit der Untertanen auf einer gesetzlichen Er-
mächtigung beruhen muß, enthält nicht das Postulat größtmöglicher
Spezialisierung dieser Ermächtigungen: auch der allgemeine, auch
der aus allgemeinen (geschriebenen oder ungeschriebenen) Normen durch
juristische Entfaltungskunst gewonnene Rechtsgrundsatz ist ein „Gesetz“ in
jenem materiellen Sinne (ein Begriff, ohne dessen Kenntnis und Verständnis
man bei Auslegung der Verfassung, namentlich von Bestimmungen wie
Art. 5, niemals zum richtigen Ziel kommen wird). Es beruht auf
einem Mißverständnis, wenn in der Literatur vereinzelt (G. Meyer,
v. Sarwey) behauptet worden ist, daß das Prinzip der gesetzmäßigen
Verwaltung nicht sowohl nicht für die Polizei, sondern grundsätzlich
überhaupt nicht gelte. Von der Rechtsprechung des OG wird diese
irrige Meinung in keiner Weise geteilt: vol. Anschütz bei Meyer-Anschütz,
z 178 N. 3 und im Pr VWBl 22 84ff.
Eine Ubersicht über den Inhalt aller cinzelbestimmungen, welche
nach den vorstehenden Ausführungen „Gesetz“ im Sinne des Art. 5
Satz 2 sind, kann hier natürlich nicht gegeben werden; es hieße das,
wie Bornhak, PrStriK 1 295 richtig bemerkt, eine Enzyklopädie des Ver-
waltungsrechts in das Verfassungsrecht einflechten.
8. Die Möglichkeit ungeschriebener, gewohnheitsrechtlicher Normen
auf dem Gebiete des Verwaltungsrechts ist in vorstehenden Bemerkungen
bereits angedeutet. Daß die Bedeutung des Gewohnheitsrechts (ins-
besondere in der Form der Observanz) als Grundlage und Stütze ad-
ministrativer Eingriffsbefugnisse keineswegs gering ist, lehrt die Recht-
sprechung des OVG (zahlreiche Belege bei Anschütz, VArch 5 392, 6 594,
595, 619, Pr VBl 22 85) und wird auch in der Literatur nahezu allgemein
anerkannt: vR 1 146, Rosin, Polizeiverordnungsrecht 20, 64 Nr. 2,
Schultzenstein im Värch 16 206, 207, Schade, Af öff R 25 300 ff. Fleiner,
Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts 76ff., v. Bitter, Hand-
wörterb. der preußischen Verwaltung, Artikel Gewohnheitsrecht.
9. Dem Prinzip, welches in Art. 5 seinen Ausdruck gefunden hat,
ist genügt, wenn ein Rechtssatz da ist, auf welchen die Verwaltung
sich berufen kann. Ob dieser Rechtssatz in einem formellen Gesetze
oder in einer auf Grund eines solchen erlassenen Verordnung ge-
schrieben oder überhaupt nicht geschrieben steht, sondern von der rechts-
bildenden Macht der Gewohnheit getragen wird, ob er speziell oder
allgemein gefaßt ist, bleibt sich gleich: wenn er nur lex lata, positiv ist.