Nr. 38. 595
Nr. 2102a 13.
Bekanntmachung über die neue Fassung des Zwangserziehungsgesetzes.
fl. Staatsministerien der Justiz und des Innern.
Auf Grund des Art. 99 des Armengesetzes vom 21. August 1914 wird der Wortlaut
des Zwangserziehungsgesetzes, wie er sich aus dem Art. 97 des Armengesetzes ergibt, nach-
stehend bekannt gemacht. Das Gesetz tritt in seiner neuen Fassung am 1. Januar 1916
in Kraft.
München, den 21. Juli 1915.
Dr. Frhr. v. Soden-Fraunhofen. v. Thelemann.
Fürsorgeerziehungsgesetz.
Art. 1.
Das Vormundschaftsgericht kann unter den Voraussetzungen des Art. 2 anordnen,
daß ein Minderjähriger zum Zwecke seiner Erziehung in einer geeigneten Familie oder in
einer Erziehungsanstalt auf öffentliche Kosten untergebracht wird (Fürsorgeerziehung).
Art. 2.
1 Steht die Sorge für die Person eines Minderjährigen dessen Vater oder Mutter zu,
so ist die Fürsorgeerziehung zulässig,
1. wenn das geistige oder leibliche Wohl des Minderjährigen dadurch gefährdet wird,
daß der Vater oder, sofern die Sorge für die Person des Minderjährigen der
Mutter zusteht, die Mutter das Recht der Sorge für die Person mißbraucht,
den Minderjährigen vernachlässigt oder sich eines ehrlosen oder unsittlichen Ver-
haltens schuldig macht, und die Fürsorgeerziehung erforderlich ist, um die sittliche
oder körperliche Verwahrlosung des Minderjährigen zu verhüten;
2. wenn der Minderjährige eine strafbare Handlung begangen hat, wegen deren er
in Anbetracht seines jugendlichen Alters strafrechtlich nicht verfolgt werden kann,
und mit Rücksicht auf die Beschaffenheit der Handlung, die Persönlichkeit der
Eltern und die übrigen Lebensverhältnisse des Minderjährigen seiner weiteren
sittlichen Verwahrlosung nur durch die Fürsorgeerziehung vorgebeugt werden kann;
3. wenn sonstige Tatsachen vorliegen, welche die Fürsorgeerziehung zur Verhütung
des völligen sittlichen Verderbens des Minderjährigen notwendig machen.