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II Steht die Sorge für die Person eines Minderjährigen nicht dessen Vater oder Mutter
zu, so ist die Fürsorgeerziehung zulässig, wenn die Entfernung des Minderjährigen aus
seiner bisherigen Umgebung zur Verhütung seiner geistigen oder körperlichen Verwahrlosung
erforderlich ist. 1
II Die Fürsorgeerziehung eines Minderjährigen, der das sechzehnte Lebensjahr vollendet
hat, soll nur in besonderen Fällen angeordnet werden.
Art. 3.
Die Staatsanwaltschaften, die Polizeibehörden und die Schulbehörden sind verpflichtet,
die zu ihrer Kenntnis gelangenden Tatsachen, welche die Zulässigkeit der Fürsorgeerziehung
begründen, dem Vormundschaftsgerichte mitzuteilen.
Art. 4.
! Das Vormundschaftsgericht hat von Amts wegen die zur Feststellung der Tatsachen
erforderlichen Ermittlungen zu veranstalten und die geeignet erscheinenden Beweise aufzunehmen.
II Vor der Entscheidung über die Fürsorgeerziehung hat das Vormundschaftsgericht den
Minderjährigen, wenn tunlich, persönlich zu vernehmen. Es hat auch die Eltern und, wenn
der Minderjährige unter Vormundschaft steht oder ihm ein Pfleger zur Sorge für die Person
bestellt ist, auch den Vormund oder Pfleger zu hören, es sei denn, daß die Anhörung
untunlich ist.
III Vor der Entscheidung sollen ferner Verwandte oder Verschwägerte des Minderjährigen
gehört werden, wenn es ohne erhebliche Verzögerung und ohne unverhältnismäßige Kosten
geschehen kann.
IV In allen Fällen sind das Pfarramt, ein Arzt und, wenn der Minderjährige noch eine
Schule besucht, die Schulbehörde um Außerung zu ersuchen, wenn sich nicht eine solche schon
bei den Akten befindet.
V Das Vormundschaftsgericht kann anordnen, daß der Minderjährige durch einen Arzt
untersucht wird. Es kann auch anordnen, daß der Minderjährige auf die Dauer von
höchstens sechs Wochen in eine Anstalt, die von der Staatsregierung als geeignet erklärt ist,
zur Untersuchung und Beobachtung gebracht wird, wenn dies nach ärztlichem Gutachten zur
Feststellung seines Geisteszustandes geboten und ohne Nachteil für seine Gesundheit aus-
führbar ist. Vor den im Satz 1 und 2 bezeichneten Anordnungen sind die im Abs. II
Satz 2 bezeichneten Personen zu hören. Gegen die Anordnung steht dem gesetzlichen Ver-
treter des Minderjährigen und binnen der für ihn laufenden Frist auch den übrigen im
Abs. II Satz 2 bezeichneten Personen sowie dem Minderjährigen selbst, wenn er das vier-
zehnte Lebensjahr vollendet hat, die sofortige Beschwerde zu; die Beschwerde hat aufschiebende
Wirkung.