Object: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

450 Das Verfassungsrecht. 867 
Wie aus obigen Ausführungen hervorgeht, bildet eine mehrfache 
Beratung und Abstimmung über die einzelnen Vorlagen die Regel. 
Diese ist jedoch nur geschäftsordnungsmäßig vorgeschrieben. Dagegen 
ist eine zweite Abstimmung über denselben Gegenstand nach Art. 107 
der Verfassungsurkunde erforderlich 21 Tage nach der ersten Abstim- 
mung, wenn es sich um Verfassungsänderungen handelt. 
Oeffentlichkeit der Sitzungen. 
Die Sitzungen beider Häuser des Landtages sind öffentlich. Es 
kann jedoch ausnahmsweise die Oeffentlichkeit für einzelne Verhand- 
lungen ausgeschlossen werden. Jedes der beiden Häuser tritt auf den 
Antrag seines Präsidenten oder von zehn Mitgliedern zu einer ge- 
heimen Sitzung zusammen, in welcher zunächst über diesen Antrag zu 
beschließen ist (Art. 79 V.-U.). Die Oeffentlichleit der Verhandlungen 
folgt nicht notwendig aus dem Charakter der Repräsentativverfassungt). 
Dieser würde auch bei vollständiger Ausschließung der Oeffentlichkeit 
unberührt bleiben. Sic beruht vielmehr lediglich auf politischen Zweck- 
mäßigkeitsgründen, diese sind daher hier nicht weiter zu erörtern. 
Die Oeffentlichkeit bildet serner nur die Regel für Plenarsitzungen 
beider Häuser, nicht aber für die Sitzungen der Abteilungen und 
Kommissionen. Doch haben nach der Geschäftsordnung beider Häuser 
die Mitglieder des betreffenden Hauses Zutritt zu den Kommissions- 
beratungen, wenn die Kommission nicht auedrücklich den Ausschluß der 
Oeffentlichkeit auch für Mitglieder des Hauses beschließt. 
Aus dem Grundsatze der Oeffentlichkeit hat § 12 des Strafgesetz- 
buches noch eine weitere Folgerung gezogen, indem es übereinstimmend 
mit dem früheren preußischen Rechte, dem Preßgesetze vom 12. Mai 
5) Völlig unhaltbar ist die Schlußfolgerung von Rönne-Zorn, 
Pr. St.-R., Bd. 1, S. 395, da die Vollmachtgeber, die Wähler, ihren 
Vertretern weder Instruktionen erteilen noch Rechenschaft absordern 
dürften, so müsse ihnen wenigsteus die Möglichkeit gegeben sein, Kennt- 
nis von der Tätigkeit und Tüchtigkeit der aus der Wahl hervorge- 
gangenen Mitglieder der Volksvertretung zu nehmen und zu prüfen, 
inwiesern sie das ihnen zugewandte Vertrauen rechtfertigten oder nicht. 
Es wird hier von dem durch die Bestimmungen der Verfassungs- 
urkunde ausdrücklich ausgeschlossenen privatrechtlichen Gesichtspunkte aus- 
gegangen, als ob die Volksvertreter die Mandatare ihrer Wähler wären. 
Die Ansicht v. Rönnes bedarf daher keiner weiteren Widerlegung, 
sie steht und fällt mit ihrem Ausgangspunkte.
	        
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