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Die wichtigsten Erscheinungen der Synonymik sind bei der Lektüre durch Be—
obachtung zu gewinnen; auf den historischen Zusammenhang zwischen Französisch
und Lateinisch, auf die sprachgeschichtlichen Beziehungen zwischen Englisch und Deutsch
soll überall geachtet und der Unterricht auch nach dieser Seite hin wissenschaftlich
vertieft werden.
3. Die Aufgaben für die freien Arbeiten (Aufsätze) sind der Leistungsfähig—
keit der Schülerinnen angemessen zu stellen. Die Stoffe sollen überwiegend der
jeweiligen Lektüre entnommen werden oder doch zu der Geisteskultur des fremden
Volkes, seinem nationalen Leben, seiner Geschichte und Geographie in Beziehung
treten. Die Korrektur des Lehrers darf sich nicht damit begnügen, das Fehlerhafte
anzustreichen, sondern soll nach Möglichkeit das Mißlungene durch den von der
Schülerin verfehlten grammatisch richtigen und idiomatischen Ausdruck ersetzen.
4. Die Lektüre steht namentlich in den Oberklassen im Mittelpunkte des Unter—
richts. Als Hilfsmittel dienen neben Einzelausgaben (bei deren Auswahl auch der vom
Kanon-Ausschuß des Allgemeinen Deutschen Neuphilologen-Verbands herausge—
gebene „Englische und französische Lektüre-Kanon“, Marburg 1910, zu berücksichtigen
ist) bewährte Chrestomathien und Gedichtsammlungen. Die Verteilung der Schrift-
steller auf die einzelnen Klassen ist von einer Fachkonferenz zu ordnen. Dabei ver-
dient Beachtung, daß keines der Hauptgebiete der Literatur übermäßig berücksichtigt
oder ganz übersehen werde, und daß inhaltlich und formell überall vom
Leichteren zum Schwierigeren fortgeschritten werde. Auf bedeutenden, natio-
nalen Inhalt der gelesenen Werke ist besonderer Wert zu legen; Schriftwerke, die
nur der Unterhaltung dienen, sind auszuscheiden oder der Privatlektüre zu über-
weisen.
Der gesamte neusprachliche Unterricht hat neben der Vermittelung des eigent-
lichen Sprachgutes die für das Realgymnasium wesentliche Aufgabe einer möglichst
vielseitigen Einführung in die Außerungen des Geisteslebens der beiden fremden
Völker. Was in staatlichen und gesellschaftlichen Einrichtungen und Sitten, in
Kunst, Literatur und Wissenschaft, in Geschichte und Geographie für Frankreich und
England kennzeichnend ist, soll bei der Lektüre beleuchtet, bei den sprachlichen Ubungen
verwertet werden; auch Amerika ist in den Interessenkreis des Unterrichts zu ziehen.
Doch ist ein Übermaß solcher „Realien" zu vermeiden, vor Überschätzung des Fremden
zu warnen und das Urteil durch steten Vergleich mit dem Heimischen zu schärfen.
Wertvolle Proben aus einzelnen Schriftwerken (Fabeln, lyrische Gedichte,
Monologe aus Dramen) sind auswendig zu lernen und durch Wiederholungen zu
dauerndem Besitz zu machen.