90 I. Buch. Die Grundlagen des deutschen Staates.
Allein trotzdem ist das Grundwesen beider, des Kollesiums und
des korporativen Verbandes, vollkommen verschieden.
Dem kollegialischen Organe fehlt gerade das, was das Bildungs-
prinzip des korporativen Verbandes ausmacht: ein eigener Gemein-
zweck und ein hierauf bezogener Gemeinwille.e. Denn seine Bestimmung
erschöpft sich darin, Organ für einen korporativen Verband zu sein.
Es ist ausschliefslich dazu berufen, genau so wie das monarchische
oder bureaukratische Organ, für den Gemeinzweck des korporativen
Verbandes, dessen Organ es ist, nicht aber für einen ihm eigenen
Zweck denjenigen Gemeinwillen zu bilden, der nicht für seine eigenen
Mitelieder, sondern für die Mitglieder und- beziehungsweise für die
anderen Organe des korporativen Verbandes wirksam sein soll.
Mit dieser Richtung seines Wollens und Handelns gewinnt denn aber
auch dieinnere Struktur des kollegialischen Organes eine ganz andere
Bedeutung 'als die des korporativen Verbandes. Denn wenn das Wesen
des letzteren in der verfassungsmälsigen Scheidung besonderer und speci-
fischer Rollen, in der Verteilung leitender und dienender, herrschender und
gehorchender, gewährender und empfangender Funktionen zwischen den
Organen einerseits und den Mitgliedern andererseits besteht, so trifft gerade
das für das Kolleeium nicht zu. Im Kollegium vielmehr sind zu den-
jenigen Funktionen, die sein Bildungsprinzip enthalten, zu denjenigen
Rechten und Pflichten nämlich, die seine Kompetenz ausmachen,
alle einzelnen Mitglieder gleichberechtigt“. Jedes derselben ist
in gleicher Weise und ohne dals an dieser entscheidenden Stelle die
Gliederung nach Vorstand und Mitgliedern einsetzt, zu den Anordnungen,
Verfügungen, Entscheidungen, Malsnahmen berechtigt und verpflichtet,
welche dem Kollegium kompetieren. Allerdings jedes seiner Mitglieder
ist. berechtigt, diese Funktionen mit rechtlicher Wirksamkeit vorzu-
nehmen, die ihm zustehenden Rechte auszuüben, die ihm obliegenden
Verpflichtungen zu erfüllen, nur in derjenigen Verbindung mit den
anderen Mitgliedern, welche die Kollegialverfassung vorschreibt. Aller-
dings nur diejenigen Willensbildungen haben rechtliche Bedeutung,
welche im kollegialischen Zusammenwirken erfolgen, dergestalt insbe-
sondere, dafs regelmäfsig die Minorität verpflichtet ist, die Beschlüsse
der Majorität als den eigenen Willen bestimmend d. h. als für sie
bindend anzuerkennen. Allein trotz dieser Bindung der Mitglieder
* Selbstverständlich ist damit nicht gesagt, dafs nicht positivrechtlich
dem Vorstande eines Kollegs besondere materielle Funktionen, materielle Ent-
scheidungsrechte als selbständige Kompetenz zustehen können. Hier
findet alsdann eine Verbindung der bureaukratischen und kollegialischen For-
mation statt.