100 I. Buch. Die Grundlagen des deutschen Staates.
Darum — es giebt kein Organ eines korporativen Verbandes
schlechthin, sondern immer nur Individuen, deren Beruf es ist, Organ
zu sein. Jeder Versuch, das Organ schlechthin, das Amt, die Behörde
als Subjekt von Rechten und Pflichten qualifizieren zu wollen, bleibt
immer nur die Aufstellung eines Rätsels, welches an den realen That-
sachen unauflöslich ist. Die Rechte und Pflichten des Amtes existieren
schlechterdings nur als Rechte und Pflichten konkreter, vereinzelter
oder kollegialisch zusammenwirkender Individuen in einer bestimmten
hierarchischen Stellung und in berufsmälsiger Zuständigkeit.
Keineswegs aber ist mit diesen Zurückweisungen der Wert und die
Notwendigkeit solcher Abstraktionen verkannt, ohne welche Präcision
und Klarheit wissenschaftlicher Deduktionen unmöglich ist.
Es ist vollkommen berechtigt von Funktionen, von Rechten und
Pflichten des korporativen Verbandes, von seinen Aufgaben und von
den Grenzen seiner Wirksamkeit, es ist nicht minder berechtigt von
der Kompetenz eines Organes, eines Amtes, einer Behörde zu sprechen
samtperson schlechterdings in keinem Rechtsverhältnis steht, mag man das-
selbe als ein noch so eigentümlich geartetes Vertretungsverhältnis qualifizieren;
dafs das Organ selbst eine rechtliche Erscheinung ist nur im Verhältnis
zu anderen Rechtssubjekten, die jene Gesamtperson nicht sind, mögen sie
im übrigen die Mitglieder oder andere Organe oder dritte sein. So vom
Standpunkte des Rechtes. Aber auch eine allgemeinere Betrachtung führt zu
dem nämlichen Ergebnis. Wenn für den korporativen Verband das Ganze
als ein seinen Teilen gegenüberstellbares Drittes, als ein Selbständiges und
zwar, wenn als Rechtssubjekt qualifiziert, als eine nicht nur in den Willen
seiner einzelnen Glieder beschlossene Willenspotenz behauptet wird, so
wird damit ein Begriff und eine Erscheinung des Ganzen ausgesagt,- die einen
vollen Bruch mit jedem anderen organischen Ganzen darstellen. Es wird da-
mit ein neues Element eingeführt, das sich in der gesamten organischen Natur
sonst nicht nachweisen läfst. Denn jedes sonstige organische Ganze, von der
Pflanze bis zum Menschen hinauf, stellt sich nirgends als ein von seinen Teilen
unterscheidbares Drittes dar, sondern es ist immer nur die Summe seiner
Teile, welche aufeinander in solcher Weise angelegt und bezogen sind, dafs
wir sie um dieser in ihren Teilen angelegten Beziehungen willen als eine
Einheit auffassen. Niemals und nirgends können wir ein Ganzes aufweisen,
das nicht immer nur in, durch und mit seinen Teilen besteht und wirkt. Und
damit sind wir darauf hingewiesen, den Unterschied zwischen einem natür-
lichen und gesellschaftlichen Ganzen nicht in dem nirgends nachweis-
baren, als real nicht vorstellbaren Unterschied eines von seinen Teilen los-
gelösten, selbständigen Ganzen, sondern in der Verbindungsweise, der Be-
ziehungsart der Teile im Ganzen zu suchen. Dort natürlich — physiologische,
hier psychische, psychophysische Beziehungen; mithin im gesellschaftlichen
Ganzen die volle Selbständigkeit der Teile als in sich geschlossener natür-
licher Organismen, welche zum Ganzen nur durch psychologische, ethische
Gesetze verbunden werden.