Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

$ 13. Das Gesamtverhältnis. 101 
überall da, wo es sich darum handelt, den Inhalt und die Wirkung 
dieser Funktionen, dieser Rechte und Pflichten zu bestinmen, abge- 
sehen von der Frage, welche Individuen zur Trägerschaft derselben 
berufen sind. Diese Abstraktion ist um so mehr zulässig, ja in ge- 
wissen Zusammenhängen gefordert, als gerade das im Wesen des 
korporativen Verbandes begründet ist und gerade das durch die Rechts- 
grundsätze über Erwerb und Verlust der Mitgliedschaft, sowie über 
Berufung und Succession der Organe bewirkt wird, dals auf den In- 
halt und die Wirkung jener Rechte und Pflichten der Wechsel der 
tragenden Individuen ohne jeden Einfluls ist. 
Allerdings aber tragen diese Abstraktionen auch Gefahren in sich; 
wissenschaftlich: logische Deduktionen aus unvollständigen Prä- 
missen für Erklärungen realer Verhältnisse auszugeben; praktisch: 
die sittlichen und rechtlichen Verantwortlichkeitsverhältnisse zu ver- 
dunkeln, die immer nur Individuen treffen können. Alle solche Ab- 
straktionen sind Einseitigkeiten, die durch weitere Bestimmungen er- 
eänzt werden müssen, wenn es sich um den vollständigen Begriff der 
realen Erscheinung handelt. 
Mit jenen Zurückweisungen vor allen Dingen ist schlechterdings 
nieht die „reale Einheit“ des korporativen Verbandes, ist nicht das 
Wesen desselben als eines „realen Ganzen“, als eines „realen Orga- 
nismus“ in Frage gestellt. Nur freilich — es ist eine Einheit be- 
sonderer Art. Sie besteht nur darin, dals eine Vielheit menschlicher 
Individuen geistig auf einen Gemeinzweck bezogen ist, und dals diese 
geistige Bezogenheit, die an sich nur die Aussage eines identischen 
Willensinhaltes der Beteiligten ist, ihre Realität gewinnt durch die 
Willensmacht leitender Organe und sich einfügender Mitglieder. Nur 
freilich — jenes Ganze und jener Organismus besteht ausschliefslich in 
der Sphäre geistiger, ethisch bestimmter Potenzen, nämlich menschlicher 
Individuen, die immer nur psychologisch, wenn auch durch Sprache, 
Zeichen und Werke vermittelt aufeinander einwirken und sich zu- 
sammenschliefsen können. Aber diese Verbindungsweise ist nicht minder 
real als die biologisch -physiologische. Jeder Versuch diese speci- 
fische Art des Zusammenschlusses durch irgend welche Vorstellungen, 
welche aus biologisch-physiologischen Zusammenhängen abgeleitet sind, 
zu erklären oder auch nur zu verdeutlichen, heifst nur das wahre 
Wesen und die wahre Bedeutung des Ganzen, des Organismus, den 
der korporative Verband darstellt, in die Sphäre einer niederen Ordnung 
herabsetzen. Und nicht minder führt jeder Versuch, die reale Einheit 
auf einen kausalen, von den einzelnen Individuen verschiedenen und 
doch ihnen wesensgleichen Gemeingeist — Gemeinintelligenz, Gemein-
	        
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