$ 15. Die dreifache Wurzel der Suveränetät. 111
Das gilt von seinem Rechtszwecke.
Allerdings das Recht ist im Verhältnis zu den realen Willens-
kräften, die es regelt, nur ein formales Prinzip. Allein jede Form
entspricht ihrem Inhalte. Die Ordnungen des Rechtes haben sich
anzupassen den Lebenszwecken und den damit bewirkten Lebensver-
hältnissen der Gesellschaft.
Mag der Staat im Beginne seiner Entwicklung sich damit genügen
lassen, das Recht, wie er es findet, wie sich dasselbe aus der freien
Anpassung der Volksgenossen im Gewohnheitsrecht oder in den
Satzungen der organisierten Lebensgemeinschaften herausbildet, zu
schützen. Mag er selbst anfänglich den Rechtsschutz nur als Friedens-
ordnung zwischen den Familienverbänden, den Grund- und Vogtei-
herrschaften, den Gemeinden handhaben und in deren innere Rechts-
ordnung nur im höchsten Falle der Rechtsverweigerung eingreifen.
Aus dem innern Drange seines Wesens geht der Staat überall dazu
über, die Gestaltung der Rechtsordnung selbst zu leiten und zu
bewirken. Er erkennt sich den Beruf zu, in freier Würdigung der
Notwendigkeit und Nützlichkeit der gesellschaftlich wirksamen Kräfte,
ihrer Zwecke, ihrer Verfahrungsweisen, ihrer natürlichen und historischen
Verhältnisse das Recht zuzumessen und abzumessen. Er gewährt
den der Freiheit Würdigen und Bedürftigen rechtliche Freiheit in dem
Malse, dafs alle für die Kulturentwicklung wertvollen Kräfte sich ohne
gegenseitige Hemmung und Schädigung bewähren können. Er stellt
dem nach seiner Schätzung gesellschaftlich Schädlichen oder doch
Gefährlichen seine hemmenden Formen, seine Gebote und Verbote,
seine Straf- und Zwangsandrohungen entgegen; er stölst tote Kräfte
— wie seiner Zeit die feudalen und patriarchalischen Gesellschafts-
formen — durch Versagung seiner ferneren rechtlichen Anerkennung
ab. Damit setzt es sich denn der Staat zum Zwecke, das Recht kraft
seiner Autorität den Kulturaufgaben des Volkes in allen seinen einzelnen
Elementen und in allen seinen Lebenskreisen anzupassen, sei es durch
seine eigene Rechtserzeugung, sei es durch Feststellung der Bedingungen,
unter denen er das aulserstaatlich erzeugte Recht anerkennt und schützt.
Planmäfsige Anpassung an die Kulturaufgaben des Volkes nicht
minder setzt die eigene und selbständige Wirksamkeit des Staates
voraus. Denn höchste und letzte Weisheit aller Staatskunst ist es
und wird es bleiben, auf der einen Seite die Freiheit und Leistungs-
‚fähigkeit der mannigfachen andern Organisationsformen, einschliefslich
der freien Anpassung, höchstmöglich zu steigern, um alle ihre Kräfte
in den Dienst der Kulturentwicklung zu stellen, und auf der andern
Seite in richtiger Schätzung aller zutreffenden historischen Bedingungen