Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

114 I. Buch. Die Grundlagen des deutschen Staates. 
8 16. 
Die Suveränetät und das Recht. 
Weil die Suveränetät das ausschlaggebende Begriffsmerkmal ist, 
welches den Staat von allen verwandten Erscheinungen abhebt, weil 
jede Schwankung in ihrer Begriffsbestimmung notwendig den Mafsstab 
verändert, an dem wir die Staatsart einer Organisation und die An- 
forderungen an ihre Gestaltung bemessen, gerade darum hat kaum eine 
andere Seite des Staatslebens so sehr wie diese zu schroffen Einseitig- 
keiten der Auffassung, zu unbegrenzten Übertreibungen der praktisch- 
politischen Forderungen, zu leeren Abstraktionen in scholastischen For- 
meln Anlals gegeben. Sie bedarf daher nach mehr als einer Richtung 
der näheren Entwickelung und Bestimmung. 
I. Die Suveränetät wird dem Staate nicht zugesprochen um des 
einen oder des anderen seiner wesentlichen Merkmale, sondern um 
aller seiner Grunderscheinungen willen. Er ist in Betracht seiner 
Struktur höchster, weil umfassendster korporativer Verband, er ist 
in Betracht seiner Leistung höchster, weil alle gesellschaftlich zu 
verwirklichenden Zwecke zu einem Gesamtplan geordneten Zusammen- 
wirkens zusammenfassender Gemeinzweck, er ist in Betracht seiner 
Funktion höchste, weil alle Willensmächte und Herrschaften von der 
Seite jener Gesamtordnung ergreifende und sich unterordnende Herr- 
schaft !. 
II. Die Suveränetät ist gemäls ihrem Wortsinn keine absolute 
Erscheinung. Sie ist ein Superlativ, der immer nur in Vergleich mit 
! Nur in dieser Auffassung charakterisiert die Suveränetät den Staat 
als Gesamterscheinung im Vergleich zu den anderen Erscheinungen der 
gesellschaftlichen Organisation. Allerdings ist es durchaus zulässig, das Wort 
suverän auch auf einzelne Erscheinungen innerhalb des als suverän 
bestimmten Staates anzuwenden. So sprechen wir von dem suveränen 
Organe des Staates. Allein der Vergleich wird hier angestellt unter den 
verschiedenen Organen desselben Staates und wir sprechen den Superlativ 
demjenigen Organe zu, von dem alle übrigen Organe ihre Berechtigung ab- 
leiten oder dessen leitenden Befugnissen sie doch untergeben sind. So sprechen 
wir von der suveränen Funktion des Staates im Vergleiche der verschieden- 
artigen Funktionen desselben Staates untereinander. Wir bezeichnen hier 
die Gesetzgebung und innerhalb dieser wieder die Verfassungsgesetzgebung 
als suverän um der obersten leitenden Kraft willen, die an der Spitze der 
Reihe steht: Verfassungsgesetz, einfaches Gesetz, Verordnung, Vollziehung. 
Allein in dieser Anwendung ist man berechtigt, das Wort suverän auch auf 
die entsprechenden Gliederungen und Funktionen jedes korporativen Ver- 
bandes zu beziehen. Sie bezeichnet nicht die Suveränetät des Staates als 
einer eigenartigen Erscheinung. Vgl. G. Meyer, Lehrb. d. d. Staatsr. $ 6.
	        
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