114 I. Buch. Die Grundlagen des deutschen Staates.
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Die Suveränetät und das Recht.
Weil die Suveränetät das ausschlaggebende Begriffsmerkmal ist,
welches den Staat von allen verwandten Erscheinungen abhebt, weil
jede Schwankung in ihrer Begriffsbestimmung notwendig den Mafsstab
verändert, an dem wir die Staatsart einer Organisation und die An-
forderungen an ihre Gestaltung bemessen, gerade darum hat kaum eine
andere Seite des Staatslebens so sehr wie diese zu schroffen Einseitig-
keiten der Auffassung, zu unbegrenzten Übertreibungen der praktisch-
politischen Forderungen, zu leeren Abstraktionen in scholastischen For-
meln Anlals gegeben. Sie bedarf daher nach mehr als einer Richtung
der näheren Entwickelung und Bestimmung.
I. Die Suveränetät wird dem Staate nicht zugesprochen um des
einen oder des anderen seiner wesentlichen Merkmale, sondern um
aller seiner Grunderscheinungen willen. Er ist in Betracht seiner
Struktur höchster, weil umfassendster korporativer Verband, er ist
in Betracht seiner Leistung höchster, weil alle gesellschaftlich zu
verwirklichenden Zwecke zu einem Gesamtplan geordneten Zusammen-
wirkens zusammenfassender Gemeinzweck, er ist in Betracht seiner
Funktion höchste, weil alle Willensmächte und Herrschaften von der
Seite jener Gesamtordnung ergreifende und sich unterordnende Herr-
schaft !.
II. Die Suveränetät ist gemäls ihrem Wortsinn keine absolute
Erscheinung. Sie ist ein Superlativ, der immer nur in Vergleich mit
! Nur in dieser Auffassung charakterisiert die Suveränetät den Staat
als Gesamterscheinung im Vergleich zu den anderen Erscheinungen der
gesellschaftlichen Organisation. Allerdings ist es durchaus zulässig, das Wort
suverän auch auf einzelne Erscheinungen innerhalb des als suverän
bestimmten Staates anzuwenden. So sprechen wir von dem suveränen
Organe des Staates. Allein der Vergleich wird hier angestellt unter den
verschiedenen Organen desselben Staates und wir sprechen den Superlativ
demjenigen Organe zu, von dem alle übrigen Organe ihre Berechtigung ab-
leiten oder dessen leitenden Befugnissen sie doch untergeben sind. So sprechen
wir von der suveränen Funktion des Staates im Vergleiche der verschieden-
artigen Funktionen desselben Staates untereinander. Wir bezeichnen hier
die Gesetzgebung und innerhalb dieser wieder die Verfassungsgesetzgebung
als suverän um der obersten leitenden Kraft willen, die an der Spitze der
Reihe steht: Verfassungsgesetz, einfaches Gesetz, Verordnung, Vollziehung.
Allein in dieser Anwendung ist man berechtigt, das Wort suverän auch auf
die entsprechenden Gliederungen und Funktionen jedes korporativen Ver-
bandes zu beziehen. Sie bezeichnet nicht die Suveränetät des Staates als
einer eigenartigen Erscheinung. Vgl. G. Meyer, Lehrb. d. d. Staatsr. $ 6.