Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

$ 16. Die Suveränetät und das Recht. 117 
Staat kann sogar durch: Staatsstreiche die Rechtsordnung :in ihrem 
objektiven Bestande umstürzen, genau so wie seine Angehörigen durch 
Revolution -— aber er kann das immer nur in der Absicht und, wenn 
er Glück hat, mit dem Erfolge, eine neue Rechtsordnung an die Stelle 
der anderen zu setzen. 
Die Suveränetät bewirkt es daher schlechterdings nicht, dafs der 
Staat das Recht weniger zur Voraussetzung habe, dals er weniger an 
dasselbe gebunden sei, als irgend eine andere Form der Gesellschaft. 
Sie bewirkt es nur, dafs er an oberster leitender Stelle den Beruf 
hat, das Recht wie für die von ihm verschiedenen gesellschaftlichen 
Organisationsformen, so für sich selbst seinem Gemeinzwecke gemäls 
zu gestalten und zu sichern ®. 
2 Mit dieser Auffassung sind alle Begriffsbildungen der Suveränetät 
zurückgewiesen, die in einem logischen Spiele aus den abstrakten Begriffen : 
„Herrschaft“ und „Superlativ“ kombiniert werden. Unrichtig ist die Formel, 
die Suveränetät bestehe in der ausschliefslichen Bestimmbarkeit durch eige- 
nen Willen — Rosin, Suveränetät, Staat, Gemeinde, Selbstverwaltung , in 
Hirth, Annalen (1883) S. 215 ff. — Alle Gesellschaft und alles Recht beruht 
auf der absoluten Negation ausschliefslicher Bestimmbarkeit durch eigenen Willen 
und auf der absoluten Position der wechselseitigen Bestimmbarkeit und des 
wechselseitigen Bestimmtseins der gesellschaftlich aufeinander bezogenen Willen, 
auf der steten Bestimmung nicht nur durch eigenen, sondern zugleich durch 
fremden Willen. Auch die höchste Herrschaft, wenn sie nicht in einem 
Sklavenverhältnis die Gesellschaft und das Recht selbst aufhebt, stölst auf 
unüberschreitbare Grenzen gegenüber dem Beherrschten. Das heilst aber 
nichts anderes, als der herrschende Wille wird nicht mehr durch eigenen, 
sondern durch fremden Willen bestimmt. Er kann nur bis zu einem gewissen 
Punkte sich als ausschliefslich berechtigt und darum die anderen als durch 
seinen Willen ausschliefslich verpflichtet ansehen; darüber hinaus sind die 
Beherrschten berechtigt und der Herrscher selbst durch ihren begrenzenden 
Willen verpflichtet. Unrichtig ist auch die andere Formel, die Suveränetät 
bestehe in der ausschliefslichen Verpflichtbarkeit durch eigenen Willen — 
Jellinek, Die Lehre von den Staatenverbindungen 8..30 ff. —. Das ist nur 
richtig in dem ganz allgemeinen Sinne, dafs alles menschliche Wollen im 
letzten Einsatz durch sich selbst bestimmt wird. Selbst der Beherrschte wird 
nur beherrscht!, weil er beherrscht sein will. In diesem Sinne beruht alles 
Recht auf der Selbstverpflichtung, auf der Anerkennung der Beteiligten, mögen 
sie im Verhältnis der Gleichberechtigung oder der Herrschaft zueinander 
stehen, mögen die Motive, die sie zur Selbstverpflichtung bestimmen, zwingende 
oder willkürliche sein. Allein nicht um diese allgemeine psychologische Wahr- 
heit handelt es sich, sondern darum, ob der Staat das Recht beliebig setzen 
oder auch nicht setzen kann oder ob er das Recht als eine auch ihn bindende 
Norm seiner Natur nach anerkennen mufs. In diesem Sinne wird er nicht 
verpflichtet durch seinen eigenen Willen, sondern durch die ihm sich auf- 
drängende Notwendigkeit des Rechtes.
	        
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