132 I. Buch. Die Grundlagen des deutschen Staates.
wie organisierten Schichtungen und Stände, Klassen und Gruppen der
Bevölkerung, die zum Mittelpunkt bald Abstammung, Heimat und
historische Tradition, bald Beruf und gesellschaftlichen Einfluß, bald
die Abstufung und Art des Vermögens und der wirtschaftlichen Stellung,
bald sonstige geistige und materielle Verhältnisse haben. Sie alle
heben in einseitiger Betonung ein einzelnes oder eine Mehrheit von
Interessen aus der Fülle der menschlichen Anlagen hervor, die zwar
die Genossen in die engere Verbindung und Fühlung einer Interessen-
gemeinschaft setzen, aber gleichzeitig die Kreuzung und den Gegen-
satz mit anderen Interessengemeinschaften erzeugen.
Der Staat soll und vermag nicht mehr als über und in der bürger-
lichen Gesellschaft eine Friedensordnung zu schaffen und in gerechter
Abwägung einen Ausgleich der Interessen durch Hemmung und, wenn
es not thut, durch Unterdrückung überwuchernder und übermächtiger,
sowie durch Förderung und Unterstützung der hülfsbedürftigen und
aufstrebenden Kräfte zu bewirken. Aber gerade weil seine Macht und
seine Aufgabe nicht soweit reicht, um die gesellschaftlichen Gliederungen
in eine koncentrierende und nivellierende Organisation aufzulösen, weil
beide nur darauf ausgehen, die sich anziehenden und abstolsenden
Kräfte in eine höhere Ordnung planmälsig einzufügen, gerade darum
ist das Verhältnis, in welches sich diese höhere und umfassende Or-
ganisation zu der bürgerlichen Gesellschaft, und damit die rechtliche
Beziehung, in die sie sich zu den von ihr unterschiedenen und ihr ein-
geordneten gesellschaftlichen Organisationsformen setzt, das entschei-
dende, charakteristische Kennzeichen für die historische Entwickelungs-
stufe und für die Individualität eines jeden Staates.
Das gilt selbstverständlich auch vom Staate auf derjenigen histori-
schen Entwickelungsstufe und in derjenigen Auffassung seines Berufes,
welche das positive Recht in Deutschland widerspiegelt. Hier aller-
dings hat der geschichtliche Verlauf dazu geführt, gewisse Formen der
gesellschaftlichen Organisation: die grund- und schutzherrlichen Bil-
dungen abzustofsen. Es ist dies geschehen, teils infolge (der allmählichen
Herausbildung der Landesherrlichkeit zu einer suveränen Staatsgewalt,
teils durch den letzten Anstofs der französischen Revolution bereits
am Anfange dieses Jahrhunderts. Immerhin führte dies zunächst zu
mannigfachen Übergangs- und Zwischenbildungen; es verblieben mannig-
fache Rückwirkungen der alten, auf jene Gesellschaftsformen gestütz-
ten ständischen Gliederungen und Einrichtungen. Aber auch sie sind
im Verlaufe der Zeit, unter den weiteren Einwirkungen der Bewegungen
von 1830 und 1848, in allen deutschen Einzelstaaten bis auf verschwin-
dende Überreste und mit Ausnahme der beiden Mecklenburge beseitigt.