Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

154 I. Buch. Die Grundlagen des deutschen Staates. 
Die Bedeutung des Staates, als des höchsten, alle übrigen Organi- 
sationsformen zusammenfassenden korporativen Verbandes eines Volkes, 
rechtfertigt es, die übrigen Rechtsbestimmungen als das Privatrecht 
dem öffentlichen Rechte gegenüberzustellen. Danach bezeichnet das- 
selbe die rechtlichen Regelungen aller gesellschaftlichen Lebensverhält- 
nisse, insofern und insoweit dieselben durch die Organisation und durch 
die Thätigkeit des Staates nicht bedingt werden. 
Es ist dies eine nur negative Begriffsbestimmung, aber ihre negative 
Fassung entspricht einer doppelten Eigenschaft der Erscheinung selbst. 
1. Das Privatrecht ist keine homogene Masse. Die 
gesellschaftlichen Lebensverhältnisse, die es rechtlich ordnet, sind durch- 
aus verschiedener Natur. Es befafst diejenigen Lebensverhältnisse, in 
denen das Individuum sich negativ gegen die Gesellschaft verhält, in 
dem Sinne, dals es die gesellschaftliche Geltung seiner Persönlichkeit, 
Anerkennung als gesellschaftlicher Willensmacht in seiner körperlichen 
Integrität, in seiner äufseren Freiheit, in seinen unmittelbaren An- 
eignungen der Naturstoffe und Naturkräfte fordert. Dasselbe befafst. 
aber auch nach einem vollkommen gesicherten Sprachgebrauch die 
Verhältnisse des gesellschaftlichen Zusammenwirkens und zwar in 
allen seinen Grundformen, sowohl in den Verbindungen der freien 
Anpassung, als auch in den familienhaften Gewaltverhältnissen und in 
korporativen Verbänden. Es ist daher durchaus unzutrefiend, das 
Privatrecht charakterisieren zu wollen durch die Beschränkung auf 
Verhältnisse der Koordination, in welcher einzelne zu einzelnen stehen, 
durch die ausschliefsliche Herrschaft egoistischer Triebfedern, durch die 
einseitige Reflexion auf diejenigen Lebensverhältnisse, in welchen das 
Individuum auf die äufsere Freiheit seiner Selbstbestimmung gestellt 
ist®. Daher trägt der Versuch, einen Sprachgebrauch zu fixieren, 
der das „reine Privatrecht“ den Familienverhältnissen und den privat- 
rechtlich bestimmten korporativen Verbänden gegenüberstellt, die Recht- 
fertigung in sich, Lebens- und Rechtsverhältnisse, die ihrer inneren 
Struktur nach durchaus verschieden sind, auch terminologisch ausein- 
ander zu halten. 
‘2. Das Privatrecht ist nicht die erschöpfende und 
damit das Öffentliche Recht ausschliefsende Regelung 
derjenigen Lebensverhältnisse, die unter dasselbe ge- 
stellt sind. 
Zweifellos giebt es Lebensverhältnisse, die nur durch den Staat 
2 So v. Savigny, Puchta, Stahl; vgl. v. Gerber, Öffentliche 
Rechte S. 30.
	        
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